Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
machen. Die Neugier erhob erneut ihr häßliches Haupt, wie so oft, wenn es darum ging, in Scherereien zu geraten. Teils schlitternd, teils galoppierend eilte ich den Felsen hinab, mit dem festen Vorsatz, lediglich eine rasche Außenbesichtigung des Hauses vorzunehmen. Was vorhin nur Umriß und Schattenspiel gewesen war, nahm allmählich scharfe Konturen an. Hatte ich von oben nur das Märchenbuch-Outfit des Heimes registriert, traten nun kuriose Einzelheiten ans Licht. Auf dem durch Rodung entstandenen und aus gestampfter Erde bestehenden Vorplatz begegnete mir zunächst eine Satellitenschüssel. Das Gerät besaß den Durchmesser eines Biergarten-Sonnenschirms und war mittels eines Eisensockels im Boden verankert. Befremdlich genug, man hatte das Ding wie ein Militärfahrzeug tarnfarben angestrichen. Auf dem Schirm stand in nüchternen Lettern: ARCHE. Dahinter sah ich ein Gehege mit ungefähr zehn geschorenen Schafen, denen inzwischen das Stoppelhaar nachgewachsen war. Wie um das idyllische Bild zu vervollständigen, befand sich unter ihnen auch ein schwarzes Exemplar. Die bestehend stolze Haltung des Viehs war ein Déjà-vue-Erlebnis. Ich konnte es allerdings nicht zuordnen. Gleichzeitig vernahm ich aus naher Distanz das vertraute Plätschern des Baches, der mich wie ein schaulustiger Eingeborener überallhin zu begleiten schien.
Da ich schon so nah am Haus stand, wollte ich es mir natürlich nicht nehmen lassen, einen Blick durch die Fenster zu riskieren. Aber gerade noch rechtzeitig war mir ein heimtückisches Detail ins Auge gesprungen: Hinter der Dachtraufe der Veranda erspähte ich zwei große Halogenstrahler, die an Metallkästchen mit rot glühenden Dioden angeschlossen waren. Es gab keinen Zweifel, daß es sich dabei um Bewegungsmelder handelte. Sobald irgend jemand den Hof betrat, würde sich über den Eindringling ein Flutlichtschwall ergießen. Ein etwas aufwendiges Sicherheitssystem für ein Waldhäuschen. Mir blieb also nichts anderes übrig, als das Haus aus gebührendem Abstand zu umrunden, bis ich eine Lücke im Erfassungsradius der Bewegungsmelder gefunden hatte. Das war leichter gesagt als getan, denn die Batterie der Melder bildete einen nahezu geschlossenen Kreis, so daß ein Eindringen, ohne Alarm auszulösen, unmöglich schien. Nur in dem Winkelvorsprung, wo Rückfront und linke Längsseite des Baus zusammentrafen, fehlten die unscheinbaren Spione. Der imaginäre Korridor bis zum Haus war verdammt eng, doch wenn ich mich exakt in einer Geraden bewegte, gab es vielleicht eine Chance, das System zu überlisten.
In dem Gefühl, über ein Minenfeld zu wandern, schritt ich mit spitzen Pfoten die fiktive Linie bis unter die Dachkante ab, ohne daß irgendwelche Sirenen losheulten oder die Strahler den Ort in eine Flucht-aus-dem-ausbruchsichersten-Gefängnis-der-Welt!-Filmszenerie verwandelten. Erleichtert und noch etwas weich in den Knien, nahm ich flüchtig meine nähere Umgebung in Augenschein. Die propere Vorderansicht des Hauses hielt hier hinten nicht, was sie versprach. Jede Menge Unrat oder besser das, was man sich nicht wegzuwerfen getraute, hatte sich unter der Traufe angesammelt. Türme von Aktenordnern, undefinierbarer Elektronikschrott und insbesondere Kunststoffkübel von Medizinpräparaten lagerten dort wie Relikte einer bankrotten Firma. Mein Wissen um die Pharmakologie war beschränkt, doch vermeinte ich aus dem eiligen Querlesen der aufgedruckten Hinweistexte zu ersehen, daß es sich bei dem Inhalt um Arzneien gegen irgendwelche Seuchen gehandelt hatte. Einen Großteil des Mülls aber machten Utensilien und Materialien aus, die schwerlich in das Bild einer pleitegegangenen Firma passen wollten. Ausgequetschte Farbtuben, Keilrahmen mit halbangemalten, aufgeplatzten Leinwänden und hoffnungslos verklebte Pinsel rückten das Image des Hausbewohners vom gescheiterten Unternehmer in die Nähe eines naturinspirierten Kreativen.
All diese Eindrücke, die irgendwie nicht miteinander harmonieren wollten, intensivierten meine Neugierde, so daß ich wider besseres Wissen eine eingehende Untersuchung beschloß. Immer an der Wand entlang umkreiste ich das Haus zur Vorderseite und schlich dann lautlos auf die Holzveranda. Dort stellte ich mich auf die Hinterbeine und zog mich mit den Vorderpfoten am Fensterbrett neben der Eingangstür nach oben.
Die Aussicht, die sich mir durch das geöffnete Fenster bot, war alles andere als aufregend, doch genauso wie der erste Anschein sehr uneinheitlich.
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