Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
Nimmerwiedersehen in der »Twilight Zone« untertaucht. Die Menschen haben sich schon in alten Zeiten über dieses Muster den Kopf zerbrochen; nach der Vorstellungswelt des Aberglaubens bedeutet der Auszug einer Katze, daß einer der Hausbewohner sterben muß. »Wenn die Katze geht, kommt der Tod«, sagt ein altes flämisches Sprichwort. Heute wird die Erklärung jedoch auf einer profaneren Ebene gesucht. Vielleicht reagiert der sensible Ausreißer nur »allergisch« auf irgendeine subtile Veränderung seiner familiären Umwelt und braucht dringend einen Tapetenwechsel. Vielleicht ist der Katze aber auch während ihrer meditativen Versenkung am Heizkörper die Zen-Erleuchtung gekommen, und sie folgt den Spuren von Siddharta, um das Karma-Glücksrad anzudrehen. Schließlich besteht auch noch die abgefahrene Möglichkeit, daß. E. T. und seine UFO-Brigade in regelmäßigen Abständen Katzen entführen und mit verbissener Miene bei lebendigem Leib sezieren, um das kosmische Geheimnis der Selbstzufriedenheit zu lüften.
5 Der „Kartäuser“ (oder auch »Chartreuse«), ein stattliches, muskulöses Tier mit bulligem Kopf und wohlproportionierten, kurzen Beinen ist die größte Annäherung der Katze an einen Teddybären. Mit seinen gelben bis goldgelben Augen und seinem kurzen, dichten und samtweichen Fell erobert das graue bis graublaue Kuschel-Objekt im Sturm die Herzen der kleinen Kinder. Der Kartäuser macht zwar häufig einen geruhsamen, lethargischen Eindruck, aber im Ernstfall läßt dieser aparte Tiger im Schafspelz seine wehrhafte und kämpferische Natur heraus.
Nach einer verbreiteten Darstellung züchteten die Mönche des Klosters La Grande Chartreuse in Frankreich die Kartäuserkatze im Mittelalter, um der Mäuseplage Herr zu werden. Das gelungene Bio-Produkt der gottesfürchtigen Klostermänner, die auch mit ihrem berühmten grünen Likör einen hochprozentigen Verkaufsschlager landeten, soll demnach aus importierten südafrikanischen Verwandten hervorgegangen sein. Leider erweist sich die Legende bei genauem Licht betrachtet als Jägerlatein. Nach Aussage des Priors von Chartreuse hat es in Südafrika nie eine »Kartause« (ein Kloster) gegeben, und Kartäusermönche haben auch niemals eine Katze aus Afrika mitgebracht. Die Annahme, daß der Name der Katze von der mutmaßlich einfachen, grauen Kutte der Mönche stammt, gehört ebenfalls in das Reich der Märchen; die Kartäuser sind nämlich seit jeher in makelloses Weiß eingekleidet. Es wird eher angenommen, daß der Name auf eine im alten Frankreich verbreitete Wollqualität zurückgeht. Schließlich stimmt es auch mißtrauisch, daß in der »Grande Chartreuse« keinerlei schriftliche Aufzeichnungen über irgendwelche Zuchtversuche an Katzen zu finden sind.
Die für ihre kulinarischen Obsessionen berühmten Franzosen haben sich allerdings in ausgesprochen unrühmlicher Weise um die Kulturgeschichte der »Chartreux« verdient gemacht. Nach den Aufzeichnungen des Carl von Linné wurden Kartäuserkatzen fett gemästet, geschlachtet und in der Küche zubereitet, zum Beispiel als gefüllter Braten; unter dem Namen »Dachshund« wird dieses perfide Gericht sogar in alten deutschen Speisekarten aufgeführt. Das Fell wurde von Kürschnern verarbeitet und unter der Bezeichnung »petit gris« (»kleiner Grauer«) weitervertrieben; fein getrimmt und gefärbt verhökerte man das fertige Produkt als »Otterpelz« an den leichtgläubigen Endverbraucher.
Die berühmten Naturforscher Linné und Buffon erkannten die Kartäuser bereits als eigene Rasse an, und in den dreißiger Jahren wurde ihr von einem französischen Veterinärmediziner ein eigener wissenschaftlicher Name zugeteilt: Felis catus cartusianorum. Das älteste Dokument, das über eine blaugraue Katze berichtet, stammt indes aus Rom und ist auf das Jahr 1558 datiert. Darin beklagt ein Dichter wehmütig den Tod seines kleinen Schoßtiers.
6 Wenn die Katze träge in der Sonne liegt und mit der Zunge über ihr Fell fährt, geht es ihr nicht nur um Kühlung (durch Verdunstung) und Reinlichkeit. Durch die Einwirkung der ultravioletten Strahlen entsteht nämlich im Haarkleid aus körpereigenen Vorstufen ein unverzichtbares (essentielles) Lebenselixier: das Anti-Rachitis- oder Sonnen-Vitamin D. Dieser Extrakt, mit dem die Katze ihre normale Kost ergänzt, macht erst die Einlagerung von Kalzium (und Phosphat) in die Knochen möglich. Und erst Kalzium, das silbergraue Erdalkalimetall, gibt den
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