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Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman

Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman

Titel: Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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erkennen, daß es sich bei ihm um ein gewöhnliches Europäisch-Kurzhaar-Exemplar gehandelt hatte. Die Vertreter dieser Art waren nicht gerade für ihre unverhältnismäßige Aggressionsbereitschaft bekannt. Schon gar nicht legten sie sich mit Witzbolden an, denen vor Mordgier der Sabber von den Reißzähnen träufelte. Aber kam als Mörder allein ein monströses Tierwesen in Frage? Der Homo sapiens war doch für solcherlei blutigen Schabernack, für einfach sinnlose, auf Spaß am Leiden basierende Gewalt eher bekannt. Dieser Theorie widersprach wiederum, daß Menschen bei der Ausübung ihrer Folterpraktiken gern irgendwelche Instrumente benutzten. Sie waren Symbole ihrer Macht und wurden in ihrer Kultur sogar wie Fetische glorifiziert. Soweit ich beurteilen konnte, rührten jedoch die hier präsentierten Verletzungen auf keinen Fall von Messern, Skalpellen oder Spießen her. Nein, sie waren das Werk elementarer, unverfälschter Gewalt, geboren aus spontanem, unersättlichem Blutdurst. Es bereitete mir Schwierigkeiten, es mir selbst einzugestehen, aber das Ganze sah verdammt nach den unergründlichen Ausbrüchen von Brutalität aus, denen meine Pappenheimer bisweilen anheimfallen.
    Das Objekt des Entsetzens trieb immer weiter fort, verwandelte sich in meiner Vorstellung in einen mit Blumen geschmückten schwimmenden Sarg, mit dem man in einigen exotischen Kulturen heute noch die Toten zu bestatten pflegt. Schließlich schluckte ihn die Finsternis. Ich schaute ihm noch eine ganze Weile nach, wie hypnotisiert und von einer tiefen, aufrichtigen Trauer erfüllt. Dabei stellte ich mir vor, wie der Artgenosse wohl lebendig ausgesehen haben mochte. So blendend wie Schnee hatte sicher das blütenweiße Fell in der Mittagssonne geglänzt; und die saphirenen Augen drohten den zufälligen Betrachter zu durchbohren, wenn ihre Blicke sich kreuzten. Und wenn er an einem frostigen Winterabend neben einem glühenden Ofen schlief und sich dabei wie in Trance reckte und streckte, betrug seine Körpergröße bestimmt mehr als einen Meter. Er war unzweideutig eine seltene Perle seiner Art gewesen, unfaßbar schön, und für jeden ein Quell der Faszination. Um so erschütternder war es, daß er ein so abscheuliches und würdeloses Ende gefunden hatte. »Goodbye, weißer Fremder«, sprach ich schließlich laut aus, »Ich seh' dich im Himmel.«
    Verdammt noch mal, was tat ich eigentlich da? Hatte ich denn nichts Gescheiteres zu tun, als einen unbekannten Toten zu beweinen und schwermütige Grabreden zu halten? Wer sagte mir denn, daß der Gourmet, der den Betrauerten als Knabbergebäck kennen und lieben gelernt hatte, nicht gerade in diesem Augenblick ganz in meiner Nähe hockte, schmunzelnd meine Untersuchung verfolgte und sich beim Grummeln seines Magens in kulinarischen Phantasien erging? Schließlich befand ich mich in einer Art Vorhölle, in welche die da oben all ihre Häßlichkeiten und Schlechtigkeiten abluden und sie dem Prozeß der Fäulnis anheimstellten. Hier gab es keine Gustavs, die im letzten Moment dazwischenfuhren, wenn irrsinnige Kannibalen meine Gurgel umfaßten, und keine Büros mit Nostalgietelefonen, wohin sich der Philip Marlowe der Spitzohrigen nach erledigter Detektivarbeit zurückziehen konnte. Hier gab es nur Düsternis, Feuchtigkeit und Dreck - und unheimlich aufgeblasene Leichen. Und wer weiß, vielleicht gab es auch wirklich jene, sagen wir mal possierlichen Kloakenkobolde, die Scheiße fraßen und ihren Durst an Industrieabflüssen löschten, sich jedoch liebend gern eine Abwechslung von ihrem herkömmlichen Speiseplan gefallen ließen, wenn es einen kleinen Burschen auf Wanderschaft in ihr Reich verschlug. Dabei stellte ich sie mir als geifernde Horrorversionen von ALF vor ...
    Als hätte ich durch meine negativen Gedanken das Böse erst heraufbeschworen, hörte ich plötzlich ein verstohlenes Rascheln. Es hallte lange in dem Tunnel nach und vermischte sich dann mit den Echos der Tropfen und der anderen gespenstischen Geräusche, die ihren Ursprung wohl in dem unmerklichen »Atmen« einer solch umfangreichen steinernen Anlage besaßen. Bevor ich vor Angst meine Rückenhaare stachelgleich aufrichten und einen Abwehrbuckel zustande bringen konnte, folgte ein erneutes Rascheln, diesmal etwas näher. Ich versuchte zu bestimmen, aus welcher Richtung es kam, was mir jedoch nicht gelang. Wie eine ratternde Motordrivekamera fixierten meine Augen in rasanter Folge sämtliche lichtlosen Winkel, aus denen jeden Moment

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