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Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman

Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman

Titel: Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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ausreichen, um an die nächste, höhergelegene heranzureichen. So wie es aussah, blieb mir wohl keine andere Wahl, als in dieser Krypta so lange herumzuirren, bis irgendwo ein Schlupfloch nach draußen auftauchte. Wer weiß, vielleicht hatte ich dem Sensenmann zu früh gedankt, denn der Sturz hatte mich zwar nicht umgebracht, aber es war zu befürchten, daß der mit dem Zurückweichen der Schmerzen immer penetranter wahrnehmbare Fäkaliengestank es irgendwann mit absoluter Sicherheit tun würde.
    Ich drehte mich um und erlebte eine zweite Überraschung. Meine Augen hatten sich inzwischen an die dürftigen Lichtverhältnisse gewöhnt, und ich konnte den fragwürdigen Reiz meines gegenwärtigen Aufenthaltsorts nun in vollen Zügen genießen. So wie es aussah, befand ich mich am Ufer eines etwa drei Meter breiten und unbestimmt langen Kanals, eines malerischen Urin- und Kotflusses, umgeben von einem altehrwürdigen, halboval gekrümmten Gemäuer, auf dem sich die schelmischen Reflexionen der ruhig vor sich hinfließenden Suppe spiegelten. Es war schwer auszumachen, wo die Abwasserstraße ihren Anfang nahm und wo sie aufhörte, denn das kalte Licht, das durch den Schacht einfiel, tauchte lediglich die nähere Umgebung in einen matten Glanz. Mein mit einem rostigen Geländer versehener Hafenkai war in Wirklichkeit die Einstiegsnische für die Kanalarbeiter, die von hier aus zu ihren Wanderungen aufbrachen. Zu beiden Seiten der Kanalisation verlief ein etwa ein Meter breiter, ebenfalls aus Stein gehauener Gehweg. Wo dieser Pfad mich hinführen würde, war ungewiß, doch es mußte mit dem Teufel zugehen, wenn ich unterwegs nicht auf eine Verbindung zu der Sonnenwelt stoßen würde. Nach solch einer geballten Aneinanderreihung von Mißgeschicken geboten es allein die Regeln der Wahrscheinlichkeit, daß mir wieder etwas Erfreuliches über den Weg lief.
    Obwohl der schwindelerregende Gestank und die muffelige, klaustrophobische Enge nicht gerade venezianische Gefühle aufkommen ließen, strahlte der düstere Ort auf seine Weise einen morbid romantischen Charme aus. Bevor ich das Gedärm der Stadt mit meiner Glorie beehrt hatte, mußten die Gewitterfluten in ihm eine infernalische Verstopfung angerichtet haben. Nach dem Rückgang des Hochwassers träufelten nun Wasserperlen von der Decke wie von den Stalaktiten einer Tropfsteinhöhle unter hundertfachem Echo in den Kanal und sorgten so für bizarre Klänge. Die gespiegelten Muster der Wellen an den Mauern bildeten das entsprechende visuelle Pendant zu der schrägen Akustik, und das stete leise Rauschen des Hauptstroms lieferte eine tröstliche Untermalung und rundete das Bild einer schauerlich schönen Grotte ab. Teils um in dem erlösenden Gefühl der wiedererlangten Unversehrtheit zu schwelgen, teils weil mich dieses Schattenreich plötzlich tatsächlich faszinierte, stellte ich mich breitbeinig an den Rand des Steinweges und sog die skurrile Szenerie in mich auf. Das hypnotische Wiegenlied des unendlich widerhallenden Tröpfelns und die besondere Atmosphäre des unwirklichen Platzes lullten mich irgendwie ein und riefen in mir einen seltsamen Frieden hervor. Wie idyllisch dieses Flüßchen vor sich hinfloß und wie besinnlich es einen doch stimmte, am Ufer zu stehen und den Blick einfach über die sanften Wogen gleiten zu lassen. Und siehe da, in der Ferne schwamm sogar ein Schwan ...
    Ein Schwan? Quatsch, es gab keine Schwäne in der Kanalisation, Krokodile vielleicht, aber keine Schwäne. Doch da schwamm wirklich etwas in der Kloake, etwas Weißes, trieb auf mich zu, aufgebläht und sich immer wieder majestätisch um seine eigene Achse drehend. Es tauchte aus der Finsternis so unversehens auf wie ein leuchtendes Raumschiff aus dem Bauch des Universums. Zunächst war es nur ein winziger, weißer Fleck, der in den rabenschwarzen Weiten des Gewässers dahinschunkelte und mir allein durch seine starke Leuchtkraft ins Auge sprang. Doch je näher es kam, um so klarer konnte ich seine Umrisse ausmachen. Jetzt, da es zirka zwanzig Meter von mir entfernt war, sah es wie ein flaumiger, aufgeblasener Mehlsack aus. Das Harmoniegefühl von vorhin wich schleichend einer unbestimmten Beklemmung, die wie eine Eisenmanschette meine Kehle festzuzurren begann. Ich vermochte den Blick von der gespenstischen Boje nicht abzuwenden, zumal sie direkt auf mich zudümpelte. Nach und nach wurde erkennbar, daß die Erscheinung ganz und gar nicht so strahlend weiß war, wie es am Anfang den Anschein

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