Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
Berserker gebärdet. Als urbanes Weichei, dessen Ohren auf das Rattern des Dosenöffners geeicht waren, hatte ich also bis jetzt gar keine so schlechte Figur gemacht. Zu meinem Glück fehlte nur noch eine Mütze Schlaf. Es war nun später Nachmittag. Seit Beginn der Flucht waren demnach über fünfzehn Stunden vergangen, und ich hatte mich die ganze Zeit in einem Wachzustand unter höchster Anspannung befunden. Für Menschen wäre das eine anstrengende, aber zu bewältigende Übung, bei einem Feinsinnigen wie mir aber konnte der Dauerstreß schnell zum Totalausfall führen. Da wir höchst effiziente Jäger sind, die meist auf der Lauer liegen, benötigen wir im Gegensatz zu den nackten Affen dreiviertel des Tages für den Schlaf. Wird hier gespart, kommt es unvermeidlich zum Kollaps.
Die Sonne würde bald untergehen, und der lichte Dschungel würde sich in gespenstisches Feindesland verwandeln. Wer weiß, vielleicht würden mir dann sogar der verrückte Hugo und sein kläffender Adlatus höchstpersönlich die Ehre erweisen und meine Restzweifel über ihre Blutsünden kopfabreißenderweise endgültig aus dem Weg räumen. Wiewohl ich den Nachtwesen zugerechnet werde, bereitete mir der Gedanke, schutzlos im finsteren Dickicht schlafen zu müssen, mehr als Unbehagen.
Also wanderte ich einfach drauflos. Das Ziel meiner Suche war entweder eine enge Felsspalte oder ein schwierig zu erkletternder Baum, jedenfalls ein Refugium, dem zwar die Annehmlichkeiten der Präsidentensuite eines Waldorf Astoria abgingen, in dem ich mich jedoch zumindest in dem Glauben wiegen konnte, daß ich einen etwaigen Eindringling bereits von der Ferne bemerken würde. Meine Hoffnungen auf einen geeigneten Platz wurden weit übertroffen, als der Wald nach kurzem Marsch abrupt endete und den Blick auf ein Tal freigab. Inmitten dieser saftig grünen Landmulde lag ein heruntergekommenes Anwesen, das aus einem in romantischer Schäbigkeit schlummernden Wohngebäude, zwei Nebengebäuden aus Holz und einem großen Hof bestand. Der Bach, der mich willkommen geheißen hatte, streifte dieses Gehöft seitlich. Hinter der Siedlung wuchs der Waldteppich wieder an und kletterte einen steilen Hügel hinauf, so daß man dort unten von einer Schneise der Zivilisation sprechen konnte. Ganz offensichtlich lagen die Felder der Bauern weit außerhalb dieses Gebietes.
Beim Anblick der Oase vergaß ich auf der Stelle Felsspalte und Baum und war, wie um Alraunes Standpauke zu bestätigen, nur noch von dem Wunsch beseelt, mich bei den Menschen anzubiedern. Sie würden einen so schmucken Kerl wie mich bestimmt nicht zum Teufel jagen. Nein, höchstwahrscheinlich leisteten ihnen sogar ein paar der Unsrigen bereits Gesellschaft und befriedigten ihr Schmusebedürfnis im Austausch gegen Reste von dem, was auf dem Hof geschlachtet wurde. In Gedanken sah ich mich schon in einem dampfenden Berg von frischen Innereien wühlen und in Seen von Milch planschen. Noch mehr jedoch verschaffte mir die Gewißheit unendlichen Trost, daß ich die Nacht nicht mehr im Wald zu verbringen brauchte, sondern, wie es sich für einen kultivierten Siedler gehörte, im Fort, wo draußen am Tor für die bösen Indianer ein Schild mit der Aufschrift hing: »Wir müssen leider draußen bleiben!« Natürlich bestand die Gefahr, daß ein wichtigtuerischer Hofhund, der die Einöde des Hofes als geweihten Boden betrachtete und seinen bauerntölpeligen Halter als den wiederauferstandenen Heiland, irgendwie versuchen würde, mich zu verscheuchen. Oder vielleicht gäbe es mißliebige Kollegen, die die leidige Diskussion um Territorien neu entfachen würden. Aber dergleichen Widerstand glaubte ich dank einer Reihe von Techniken, die der Chirurgie entlehnt waren und die ich wie der Chefarzt persönlich beherrschte, brechen zu können.
Ich lief den Hügel jubelnd hinunter und erblickte zu meiner Freude an beiden Seiten der Wiese einträchtig grasende Ponies. Die Sonne ging hinter dem gegenüberliegenden Waldabschnitt mit Pauken und Trompeten unter, und die ganze Landschaft mit den Bretterverschlägen in der Mitte wurde von einem magischen Glanz überzogen, als würde exakt hier das äußerst seltene Erz namens Glück abgebaut.
Als ich das Anwesen beinahe erreicht hatte, konnte ich bereits von weitem drei Berufsgenossen ausmachen. Einer von ihnen, ein braunes, verblüffend fettes Exemplar, lag ausgestreckt im Zentrum des gitterlosen, in einem Halbkreis mit Pflastersteinen ausgelegten Hofes. Er hatte sich der
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