Felidae 8 - Göttergleich: Ein Felidae-Roman
hätte das Erleben der Vision nicht derart intensiv und echt sein dürfen.«
»Das sagst du. Glaubst du, ein Irrer, der Stimmen hört, zweifelt auch nur einen einzigen Moment an ihrer Echtheit? Es ist gerade das signifikanteste Kennzeichen von Verrückten, dass sie sich für total normal halten. Womit ich natürlich nicht sagen will, dass du verrückt geworden bist, Paps. Aber auch eine Halluzination kann einen völlig authentischen Eindruck hinterlassen.«
Hinter unserem Rücken klapperte es, als Gustav in der Küche den Deckel des Mülleimers öffnete. Rasch drehten wir uns in Richtung der offen stehenden Tür und verfolgten, wie er aus dem Eimer den vollen Plastikbeutel herauswuchtete und damit schlurfend den Raum verließ. Danach hörten wir, wie er die Wohnungstür aufschloss, in den Treppenhausflur trat und anschließend durch die Haustür in den Vorgarten gelangte, um den Müll bei den dort stehenden Kübeln loszuwerden.
»Seht ihr!«, triumphierte ich. »Beim Müll raustragen hat er beide Türen nicht wieder hinter sich zugemacht. Ich sagte doch, dass ich das alles schon einmal erlebt habe.«
Sancta lächelte zaghaft. Und mitleidig. Das heißt, eigentlich lächelte sie nur mitleidig. »Aber, Francis, Gustav trägt den Müll immer um die Zeit hinaus.«
»Wirklich?« Ich räusperte mich umständlich. »Aber er achtet stets drauf, dass nicht beide Türen gleichzeitig offen stehen. Damit wir nicht in Versuchung geraten, auf die Straße zu laufen.«
Ihr hübsches silberfelliges Gesicht mit den Riesentrichtern von Ohren zeigte nun anstatt Mitleid nur noch tiefste Besorgnis. »Doch, Francis, doch. Das vergisst er in letzter Zeit immer öfter. Auch an ihm ist das Alter nicht spurlos vorübergezogen.«
Haha, gut der Spruch, wirklich hervorragend! Gustav und ich waren also jetzt bloß zwei alte Trottel, die nicht mehr wussten, was sie taten. Die Zeit läuft rückwärts? Huch, da habe ich wohl heute Morgen verschwitzt, meine Hallo-Wach-Pillen zu schlucken. Entschuldigt bitte, dass ich euch mit solchen senilitätsbedingten Aussetzern auf den Wecker gegangen bin. Ich hatte einen Unfall und wurde am Hirn operiert? I wo, bin nur auf dem Schaukelstuhl eingenickt, und dabei ist mir das Gebiss aus dem Maul gefallen. Verräter, wie sie alle da standen!
»Ach, er vergisst das in letzter Zeit immer öfter, ja?« Ich rang um jedes einzelne Wort. »Dann sag mir ganz ehrlich, ob du, liebe Sancta, nicht ein leises Kribbeln empfunden hast, als du eben das Geräusch der sich öffnenden Türen hörtest. Ich meine, wolltest du nicht aus reiner Neugier am liebsten schnell mal rauslaufen, um die Vorderseite des Hauses zu inspizieren?«
»Doch, ich habe eine unbestimmte Neugier verspürt und wäre Gustav am liebsten nach. Aber du hast uns ja eben eingeimpft, dass wir das auf keinen Fall tun dürfen.«
»Da haben wir es!« Ich triumphierte schon wieder. Nun
gut, dieses ewige Triumphieren war eher meinem Hang zur Rechthaberei geschuldet und wurde langsam langweilig, um nicht zu sagen lächerlich. »Und wenn du hinausgelaufen wärest, hätte ich dir sofort nachgesetzt, um dich von der Straße zu holen. Dann wäre das Motorrad angebraust gekommen, und der Unfall …«
»Worüber reden wir hier eigentlich, Paps?«, unterbrach Junior das enervierende Im-Kreis-Gestampfe. Er schien wegen der Haarspalterei, die ich auf die Spitze getrieben hatte, ziemlich verärgert. »Wie es aussieht, ist es nicht zu einem Unfall gekommen, und du wurdest auch nie am Hirn operiert. Nach Einbeziehung aller Fakten kannst das nicht einmal du bestreiten. Und Tatsache ist auch, dass du vor ein paar Stunden auf der Wiese eingenickt bist und nach dem Aufwachen schlafblöd …«
»Schlafblöd?«
»… ja, dir schlafblöd irgendwas eingebildet hast. Das bedeutet natürlich nicht, dass nicht etwas Ernsthaftes vorliegt. Deshalb solltest du in den kommenden Stunden alles genau beobachten.«
»Aha, und was sollte ich deiner geschätzten Meinung nach mit besonderem Augenmerk beobachten?«
Junior lächelte schelmisch, wobei sein einem aufgeplatzten Kissen mit weißen und schwarzen Federdaunen gleichendes Gesicht nie bezaubernder ausgesehen hatte. »Dich selbst. Aber vor allem die Uhr.«
Das tat ich doch glatt. In der Nacht lag ich wach, aber nicht irgendwo, sondern bei Archie, der einen Stock über uns residierende Kumpel von Gustav. Archibald Philip Purpur verkörpert alles, was Gustav nicht ist. Zum Beispiel
ist er jung. Das heißt, vielleicht würde das jemand
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