Felidae
Eigenliebe stecken, trunken von eitler Selbstbetrachtung, nach Schmeicheleien dürstend, taub für das, was zu ihnen gesprochen wird, ungerührt von den Unglücksfällen, die ihre vertrautesten Freunde befallen, in steter Furcht vor allen Bitten um Hilfe, die ihre langen Zwiesprachen mit den eigenen Begierden unterbrechen könnten? Fürwahr, lieber Francis, solcherart sind die Kinder Adams von China bis Peru.
Doch was ist mit den anderen ? Mit uns? Ich sage dir, mein Freund, wir sind aus keinem anderen Holz geschnitzt. Wir, die wir übersättigt und gelangweilt lustlos nach Mücken schnappen, faul auf den Gartenmauern hocken, hinter elektrischen Öfen schnurren, rülpsen, furzen und dösen und unser Leben mit lächerlichen Träumen von lächerlichen Jagden hinter so lächerlichem Wild wie Mäusen verträumen und Gott einen guten Mann sein lassen, wir, die wir unsere Vorlieben für unterschiedliche Marken von Dosenfutter pflegen, wir, die wir uns schon so traurig weit entfernt haben von dem, was wir ehemals waren, ja, wir, Francis, für die alle anderen Vertreter der stolzen Familie Felidae sich eigentlich schämen mü ß ten, wir imitieren die Menschen, wir sind wie die Menschen!«
»Du bist der wahre Mensch!« schrie ich. »Du denkst wie sie! Du handelst wie sie! All das Unglück, das sie der Welt beschert haben, willst du nur wiederholen. Dein Traum ist nicht die wirkliche Veränderung, sondern nur die Einführung einer neuen Diktatur, bezahlt mit Hunderten und Tausenden von Toten aus den eigenen Reihen. Oder verrate mir doch einmal, was für eine Rolle du den anderen Tierarten in deinem ach so wunderbaren Sonnenstaat zugedacht hast. Beantworte mir das bitte!«
»Gar keine! Sie sind dumm und fügen sich in ihr Schicksal. Kein Wille und keine Energie, verstehst du? Sie sind die geborenen Opfer und werden uns eines Tages untertan, so wie es die Menschen sein werden. Wir könnten die neuen Herrscher der Welt sein, Francis. Dynastien und Königreiche könnten entstehen, und unsere Macht könnte über Ozeane und bis in die entferntesten Wüsten reichen. Sei doch nicht so dumm, Francis! Reiß endlich den Schleier vor deinen Augen weg und erkenne, was die Menschen aus uns gemacht haben! Schmusepuppen, drollige Possenreißer für ihre unterhaltungssüchtigen Augen, Liebesersatz für ihre kalten Herzen, pittoreske I-Tüpfelchen auf ihren beschissenen Wohnlandschaften! Das ist es, was aus uns geworden ist! Ist dir schon mal aufgefallen, da ß wir sehr klein sind? Jedes vertrottelte Menschenkind kann uns den Hals umdrehen. Schutzlos sind wir ihnen ausgeliefert für immer und ewig, und das Allerschlimmste ist, da ß wir diesen immerwährenden Unterjochungszustand gar nicht mehr wahrnehmen, da ß wir uns daran gewöhnt haben, ja, da ß er uns sogar gefällt. Willst du, da ß deine Art immer weiter in diesem entwürdigenden Zustand lebt? Willst du das, Francis?«
»Richte nicht, auf da ß du nicht gerichtet wirst, Pascal!«
»Pascal? Ha! Der Name einer Computersprache, einer Computersprache, von Menschen erschaffen! Das ist wieder typisch Mensch. All diese schwachsinnigen Namen, die sie uns verpassen, weil sie ihre verkrüppelten Gefühle unbedingt auch auf uns projizieren müssen. Weil sie einander nichts mehr zu sagen haben, weil sie uns als Ersatz für enttäuschte Freundschaften und Zuneigung brauchen. Ich heiße weder Pascal noch Claudandus, noch trage ich einen anderen Namen, den sich Menschen für mich ausgedacht haben. Ich bin Felidae, einer Gattung zugehörig, die Menschen auffri ß t!«
»Und Ziebold?« fragte ich. »Er hat dir doch das Leben gerettet und dich gesund gepflegt.«
»Unsinn! Er hatte nur Schuldgefühle, weil er jahrelang selbst ein Mörder gewesen war und er auf diese bequeme Weise sein Gewissen erleichtern konnte. So sind sie allesamt, Francis, falsch und voller Heuchelei. Scheinheiligkeit ist ihr wahrer Gott, dem sie tagtäglich neue Opfer bringen. Und genauso wollen sie auch uns haben. Sie wollen aus uns Karikaturen ihrer selbst machen!«
»Es gibt aber auch gute Menschen, Pascal oder Claudandus oder Felidae oder wer du auch sonst sein magst. Glaube es mir. Und eines Tages, ich gebe zu, eines fernen Tages werden alle Lebewesen auf Gottes Erden gleichberechtigt sein, in Harmonie und vielleicht sogar in Liebe zusammenleben und einander besser verstehen.«
»Nein! Nein! Nein!« brüllte er, und seine Augen brannten vor ohnmächtigem Zorn und Ha ß . »Es gibt keine guten Menschen! Sie sind alle
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