Felidae
Pfote die Tränen aus dem Gesicht und schüttelte sich dann heftig.
»Ziebold ließ mich von einem der besten Tierchirurgen zusammenflicken, soweit dies noch möglich war, und nach einem vier Monate dauernden, schmerzlichen Genesungsprozess fühlte ich mich körperlich wieder einigermaßen fit. Aber ich war nicht mehr der alte. Jegliche Lebensfreude war mir abhandengekommen. Ich hatte keinen Appetit und fürchtete, an Depressionen zugrunde zu gehen. Die Hölle, durch die ich gegangen war, erlebte ich in der Erinnerung und in meinen Träumen nochmals und nochmals, das Leiden wiederholte sich tagtäglich und schien kein Ende zu nehmen. Bis ich nach und nach die Vorzüge von Ziebolds Bibliothek zu schätzen lernte. Ich las all diese unzähligen dicken Bücher, die Menschen verfa ß t hatten, und lernte viel über ihr Denken. Der Gro ß teil dieser Werke handelte davon, wie wunderbar und schlau die Menschen seien, was sie schon alles erfunden und was für Wunderdinge an Kultur sie schon vollbracht hätten und zu welcher intensiven Liebe sie fähig wären und wie wahnsinnig toll ihr Gott wäre und zu welchen fernen Sternen sie eines Tages noch aufbrechen würden, um diese mit ihrer einzigartigen Genialität zu beglücken. Diese ganze beschissene Bibliothek war ein einziger überdimensionaler Reklamespot für den Homo sapiens, und in jedem Buch stand eigentlich immer nur dasselbe drin: Die Menschen waren die Herren der Welt und würden es auch immer bleiben. Der Grund: weil sie andere Arten ohne Skrupel und Scham unterjochten oder besser noch töteten. Es war ihr krankhaftes Selbstbewu ß tsein, das ihnen den Willen und die Kraft dazu verlieh. Sie wähnten sich einfach als die Größten und glaubten deshalb, sich gegen andere Lebewesen jedes Unrecht herausnehmen zu dürfen. Und das Bestürzende war, da ß sie, eben wegen dieser arroganten Einstellung, auch wahrhaftig die Größten waren.
Als mir das bewu ß t wurde, begann ich mir Gedanken darüber zu machen, wie man das Rad der Geschichte wieder zurückdrehen könnte. Ich wu ß te, wie immer die Demontage dieser Despotenherrschaft aussehen würde, sie mu ß te unmerklich vonstatten gehen. Eine straffe Organisation und kluge Taktik waren vonnöten, damit die Herrenrasse nichts mitbekam. Da wies mir Mendels Erblehre den Weg. Es war wie eine Offenbarung, als ich dieses Buch las. Plötzlich wu ß te ich, was meine Aufgabe, meine Pflicht war, wie ich meinem Leben einen Sinn geben und mich gleichzeitig an denen rächen konnte, die mir so unvorstellbare Schmach und Pein zugefügt hatten. Aber es ging nicht nur um blinde Rache, es ging um eine grundsätzliche Veränderung auf der Welt.«
»Hört sich das nicht verdammt menschlich an?«
»Vielleicht. Doch es war - es ist der einzige Ausweg, wie wir ihre schon Jahrtausende dauernde Tyrannei zerschlagen können. Ich gestehe, zu Beginn war ich selbst ein Träumer und ging sehr naiv vor. Ich unterbreitete einigen Überlebenden aus dem Labor und anderen Artgenossen hier im Revier meinen Plan. Aber sie weigerten sich, diese wunderbare Vision mit mir zu teilen. Bequemlichkeit, Dummheit und Furcht waren es, die sie immer wieder zurück in die Arme der Menschen trieben. Sie sagten, die Menschen seien gar nicht böse, und faselten blauäugiges Zeug vom friedlichen Zusammenleben. Gewi ß , hier und da gäbe es auch unter den Menschen schwarze Schafe, wie überall und bei jeder Art, doch im Grunde ... Diese Schwachköpfe, sie waren eher bereit, ein Leben als Sklaven zu führen und stinkendes Aas aus Dosen zu fressen, als für die Freiheit zu kämpfen!
Der einzige, bei dem ich Gehör fand, war Joker. Er hatte den Horror im Labor die ganze Zeit als Außenstehender beobachtet und kannte das wahre Gesicht der Menschen. Und so bildeten wir ein Team. Er war für die Verbreitung der Ideologie zuständig und ich für die wissenschaftliche Seite des Projekts. Aber um keinen Verdacht zu erregen, mu ß ten wir die Sache ganz langsam angehen.
Ich fing ganz bescheiden an. Mit nur einem Weibchen und einem Männchen, welche die für die Zucht in Frage kommenden Eigenschaften zumindest im Ansatz besaßen. Es ging darum, das Domestikationsgen innerhalb weniger Generationen auszulöschen und die Felis Catus sowohl äußerlich als auch vom Verhalten und Instinkt her rückzuzüchten. Doch ich merkte schnell, da ß dies keine leichte Aufgabe war. Obwohl das Weibchen und das Männchen ganz nah beieinander wohnten, wurden sie auch von gewöhnlichen
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