Femme fatale: Der fünfte Fall für Bruno, Chef de Police (German Edition)
sonnenbaden, die sonst gewöhnlich bei der erstbesten Gelegenheit ihre Hüllen fallen ließen.
»Julien war auf dem Weg zum lycée in Périgueux und wollte seinen Zug noch erreichen«, fügte Marie hinzu. Und dann, mit gesenkter Stimme: »Er glaubt, sie ist tot.«
»Steht Julien noch am Bahnhof?«, fragte Bruno, das Bild des Jungen vor Augen, wie er mit Feuereifer sein Rugbytraining durchführte.
»Nein, er ist schon im Zug. Aber er wollte unbedingt, dass ich dir Bescheid gebe. Er hätte dich auch selbst angerufen, aber sein Vater hat ihm das Handy abgenommen.«
Wahrscheinlich nicht ohne Grund, dachte Bruno.
»Wann genau hat er das Boot gesehen? Erst vor wenigen Minuten?«, fragte er und versuchte auszurechnen, wie lange es dauerte, bis ein treibendes Boot die große Steinbrücke von Saint-Denis erreicht haben würde, wo man es wohl am ehesten abfangen und ans Ufer ziehen konnte.
»Er ist von der Brücke direkt zu mir gerannt und gleich darauf in den Zug gesprungen. Ich habe sofort zum Hörer gegriffen. Das Ganze ist höchstens drei Minuten her.«
Bruno beendete das Gespräch und eilte die Rue de Paris entlang, vorbei an Marktständen und an Lieferwagen, die entladen wurden. Die ausgestreckten Hände und zum Küssen angebotenen Wangen ignorierte er diesmal. Er duckte sich rasch unter langen Stoffballen hindurch, wich Männern mit riesigen Käserädern auf den Köpfen aus und schlängelte sich zwischen Handkarren mit frischem Gemüse durch, während er über den Rathausvorplatz auf die Brücke zulief. Kaum hatte er sie erreicht, vibrierte wieder sein Handy, und diesmal war es Pierrot, der ihn sprechen wollte, ein passionierter Angler.
»Du glaubst nicht, was ich gerade auf dem Fluss gesehen habe«, begann er.
»Eine tote Frau in einem Boot. Ich hab’s schon gehört. Wo bist du gerade?«
»Beim Campingplatz, gleich neben dem Kräutergarten am Steilufer. An der Flussbiegung stehen die Forellen und …«
»Wie schnell treibt das Boot?«, unterbrach Bruno.
»In fünf Minuten wird es an der Brücke sein, vielleicht auch ein bisschen später«, antwortete Pierrot. »Es ist einer dieser alten Flachbodenkähne, wie man sie nur noch selten sieht, und er ist voller Wasser. Die Frau liegt mit ausgebreiteten Armen splitterfasernackt auf dem Rücken. Ich glaube, sie ist tot.«
»Wir werden sehen. Danke, Pierrot«, sagte Bruno und klappte sein Handy zu. Vom Brückenkopf aus blickte er blinzelnd flussaufwärts über das in der Sonne glitzernde Wasser. Das Boot war nicht zu sehen. Er hatte also noch etwas Zeit und drückte die Kurzwahlnummer der Klinik, um mit Fabiola zu sprechen.
»Sie ist heute nicht da«, sagte Juliette vom Empfang. »Irgendein Privatpatient hat sie gerufen. Den Namen habe ich noch nie gehört. Ich verbinde Sie mit Doktor Gelletreau. Er hat Bereitschaft.«
»Nicht nötig«, entgegnete Bruno und eilte mit dem Handy am Ohr auf die Kirche zu, wieder im Zickzackkurs um die Händler herum, die weiter ihre Stände aufbauten. »Ich muss Schluss machen. Sagen Sie dem Doktor einfach, er soll zur Steinbrücke kommen. Es scheint, dass eine Leiche im Fluss treibt. Ich treffe ihn dort.«
Er brauchte Antoine mit seinem Kahn, und Antoine sang im Chor. Bruno schlüpfte durch die kleine Tür, die in das große, altertümliche Holztor eingeschnitten war, und staunte nicht schlecht über den vollen Klang des Chors, dessen eine Hälfte »Sehet!« sang, worauf die andere fragte »Wen?«.
Unmittelbar bevor Florence zu ihrem Solo »O Lamm Gottes unschuldig« anheben konnte, trat Bruno nach vorn und tippte Pater Sentout auf die Schulter. Der Chorgesang verstummte abrupt, doch die Orgel spielte weiter. Pater Sentout öffnete die Augen und blinzelte verblüfft über Brunos Erscheinen.
»Tut mir leid, Vater, wir haben einen Notfall«, erklärte Bruno laut genug, um die Orgel zu übertönen. »Möglicherweise steht ein Menschenleben auf dem Spiel. Ich brauche ganz dringend Antoine.«
Mit einem letzten Seufzer aus ihren Pfeifen verstummte nun auch die Orgel.
»Sie wollen meinen Jesus?«, fragte der Priester irritiert.
Bruno schluckte und versuchte, sich auf die Frage einen Reim zu machen, aber dann fiel ihm ein, dass Antoine mit seinem prächtigen Bass den Jesus-Part sang.
»Auf dem Fluss treibt ein Kahn, mit einer vermutlich toten Person darin. Antoine muss mir helfen, sie zu bergen«, sagte Bruno und richtete seine Worte nicht nur an Pater Sentout, sondern an den ganzen Chor.
»Ich habe kein Kanu hier«, entgegnete
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