Femme fatale: Der fünfte Fall für Bruno, Chef de Police (German Edition)
Antoine. Er kam aus der Apsis und griff nach seiner Jacke, die auf der ersten Bank lag. Er war ein stämmiger Mann mit vom jahrelangen Rudern breiten und muskulösen Schultern. »Meine Kanus sind alle auf dem Campingplatz.«
»Ich brauche dich trotzdem«, sagte Bruno und führte ihn hinaus und durch das immer dichter werdende Gedränge auf dem Markt hinüber zum Fluss, gefolgt, wie er bemerkte, von den meisten Chormitgliedern einschließlich Pater Sentouts.
Passanten und Händler wurden aufmerksam und schlossen sich ebenfalls dem Zug an, neugierig wie jede Menge, die ein Drama wittert. Sie alle stauten sich vor der Brücke, als Bruno und Antoine den fast gesunkenen Kahn entdeckten, der langsam kreisend von der Strömung herangetrieben wurde.
»Möglich, dass er von der Sandbank aufgehalten wird«, sagte Antoine. »Wenn nicht, müssen wir runter zum Campingplatz und ein Kanu zu Wasser lassen, um ihn rauszuziehen.«
»Könnte ich nicht in den Fluss waten und ihn abfangen?«, fragte Bruno.
»Lieber nicht«, antwortete Antoine und rechtfertigte damit nachträglich Brunos Entscheidung, die Chorprobe zu unterbrechen und ihn um Hilfe zu bitten. »Sieh mal da vorn, die Strömung unter dem ersten Brückenbogen. Da ist der Fluss am tiefsten. Du würdest bis zum Hals versinken oder noch weiter. Und dann hättest du keinen Halt mehr, um den Kahn ans Ufer zu ziehen.«
Immer mehr Leute liefen herbei und reckten die Hälse, um einen Blick auf den Kahn zu erhaschen, der langsam näher kam. Zwischen all den fuchtelnden Armen und Händen war auch die Kamera von Philippe Delaron zu sehen, dem Betreiber des Fotoladens, der nebenbei als Reporter für die Sud-Ouest arbeitete. Bruno stöhnte innerlich. Eine nackte Leiche in einem Boot war schlimm genug. Dass nun auch noch ein gruseliges Foto davon in der Zeitung erscheinen würde, wäre bestimmt nicht im Sinne des Bürgermeisters, der sich um ein beschauliches Image seiner Stadt bemühte.
»Das ist ja ein Stechkahn«, sagte Antoine und klang überrascht. »Ich dachte, die gäbe es längst nicht mehr. Früher, vor der Eindämmung des Flusses, als noch jedes Frühjahr weite Uferteile überschwemmt wurden, hat man von solchen Kähnen aus Wasservögel gejagt.«
»Sollten wir jetzt nicht lieber zum Campingplatz fahren und ein Kanu holen?«, fragte Bruno, den es drängte, irgendetwas zu tun.
»Warten wir noch ein bisschen. Mal sehen, ob der Kahn die Brücke passiert«, erwiderte Antoine und steckte sich eine gelbe Zigarette an, eine Gitanes. Bruno hatte fast vergessen, dass die immer noch hergestellt wurden. »Wenn er untergeht, hat es keinen Sinn, und vielleicht bleibt er ja auch auf der Sandbank hängen. Anderenfalls hätte ich eine Idee. Komm mit!«
Antoine bahnte sich einen Weg durch die Menge. Mit Bruno im Schlepptau stieg er über die steilen schmalen Steinstufen von der Brücke hinab zum Anleger, wo das alljährliche Wettangeln stattfand. Drei Angler saßen dort auf ihren Klappstühlen. Sie starrten auf ihre Schwimmer und linsten gelegentlich zu ihren Nachbarn hinüber, um zu sehen, ob diese mehr Glück hatten. Der Menge auf der Brücke schien keiner von ihnen Beachtung zu schenken.
»Patrice, könntest du deine Schnur auf den Kahn auswerfen, der da angetrieben kommt, und versuchen, ihn an Land zu ziehen?«, fragte Antoine den ersten Angler.
Als Patrice sich halb zu ihnen umdrehte, hatte er einen verkniffenen Mund und nuschelte etwas Unverständliches.
»Wie bitte?«, fragte Bruno.
Patrice öffnete den Mund und holte drei dicke, sich windende Maden hervor. Bruno wusste von dem Baron, mit dem er gelegentlich angeln ging, was es damit auf sich hatte. Früh am Morgen, wenn es noch kühl war, wurden Maden schnell träge. Fische aber ließen sich nur von denen anlocken, die am Haken kräftig zappelten. Um sie warm und lebendig zu halten, legten passionierte Angler sie unter die Zunge – für Bruno völlig undenkbar, weshalb aus ihm nie ein richtiger Angler werden würde.
»Dann geht mein Köder verloren, vermutlich auch der Haken mitsamt der Schnur«, entgegnete Patrice und legte die Maden zurück in die alte Tabaksdose, in der er seine restlichen Köder aufbewahrte. In die Sonne blinzelnd, setzte er nach einer kurzen Pause nach: »Was hast du überhaupt mit diesem Kahn zu schaffen, Bruno?«
»Es liegt eine Frauenleiche darin. Angeblich ist sie auch nackt«, antwortete Bruno. Patrice war ein kleiner, krummer Mann, seit vierzig Jahren mit einer sehr viel größeren Frau mit
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