Fenster zum Tod
huschte etwas wie ein Anflug von Trauer über sein Gesicht, und er sah aus dem Fenster. »Ich hab ihn gefunden. Unten am Bach.«
»Ich weiß.«
»Er war spät dran mit dem Abendessen. Ich hab drauf gewartet, dass er klopft und sagt, Zeit zum Essen, und ich hatte schon richtig Hunger, also bin ich runtergegangen, um zu sehen, was los ist. Zuerst hab ich das ganze Haus abgesucht. Ich bin in den Keller gegangen, hätte ja was mit der Heizung sein können oder so, aber da war er auch nicht. Sein Wagen war da, also konnte er nicht weit sein. Als ich ihn im Haus nicht gefunden hab, bin ich rausgegangen. Als Erstes hab ich in die Scheune geschaut.«
Das hatte ich alles schon mal gehört.
»Aber da war er auch nicht. Dann bin ich überall rumgegangen, und als ich dann den Hang runterschaue, seh ich ihn da unten liegen, der Traktor auf ihm drauf.«
»Ich weiß, Thomas.«
»Ich hab den Traktor hochgestemmt. Das war echt schwer, aber ich hab’s geschafft. Aber Dad ist nicht aufgestanden. Da bin ich wieder hochgelaufen und hab den Notruf gewählt. Die sind gekommen und haben gesagt, Dad ist tot.«
»Ich weiß«, sagte ich noch einmal. »Das muss schlimm für dich gewesen sein.«
»Er ist noch immer da unten.«
Der Traktor. Ich musste ihn holen und in die Scheune bringen. Seit dem Unfall hatte er dort unten gestanden, ich wusste nicht einmal, ob er anspringen würde. Gut möglich, dass das Benzin ausgelaufen war, schließlich war er ja umgekippt. In der Scheune stand ein halbvoller Benzinkanister, falls ich welches brauchte.
»Es gibt einiges zu besprechen«, sagte ich. »Was getan werden muss, jetzt, wo Dad … wo er nicht mehr da ist.«
Thomas nickte und überlegte. »Ich frage mich, ob ich jetzt vielleicht auch Karten an die Wände in seinem Zimmer hängen kann. Der Platz reicht nicht mehr. Er und Mom haben ja gesagt, dass ich im Erdgeschoss und im Treppenaufgang nichts aufhängen darf, aber sein Zimmer ist im ersten Stock. Und da wollte ich wissen, wie du darüber denkst. Er schläft da ja nicht mehr. Und Mom ist auch nicht mehr da, also schläft da jetzt gar niemand mehr.«
So ganz stimmte das nicht. Ich hatte zwar die ersten Tage in dem unbenutzten Zimmer geschlafen, das Mom immer für mich bereitgehalten hatte. Für den Fall, dass ich zu Besuch kam, was allerdings nicht allzu oft geschah. Doch letzte Nacht war ich von diesem Zimmer, das neben dem von Thomas lag, in das weiter hinten gelegene Zimmer meines Vater umgezogen, weil mir das ständige Mausgeklicke aus Thomas’ Zimmer den letzten Nerv raubte. Einmal war ich zu meinem Bruder gegangen, um ihm zu sagen, er solle Schluss machen, doch er hatte mich ignoriert. Also zog ich um. Anfangs fühlte es sich seltsam an, unter die Decke meines Vaters zu schlüpfen, aber das dauerte nicht lange. Ich war müde, und Sentimentalität war nie mein Problem gewesen.
»Du kannst nicht allein in diesem Haus leben«, sagte ich.
»Ich bin nicht allein. Du bist doch hier.«
»Irgendwann muss ich wieder nach Hause.«
»Du bist doch zu Hause. Hier ist zu Hause.«
»Aber es ist nicht mein Zuhause, Thomas. Ich wohne in Burlington.«
»Burlington, Vermont. Burlington, Massachusetts. Burlington, North Carolina. Burlington, New Jersey. Burlington, Washington. Burlington, Ontario, Ka…«
»Thomas.«
»Ich wusste nicht, ob du weißt, wie viele Burlingtons es sonst noch gibt. Du musst genau sein. Du musst Burlington, Vermont, sagen, sonst wissen die Leute doch nicht, wo du wirklich wohnst.«
»Ich dachte, du weißt es«, erwiderte ich. »Soll ich das tun? Soll ich wirklich jedes Mal, wenn ich nach Burlington zurückfahre, dazusagen ›Vermont‹, Thomas?«
»Sei nicht böse auf mich«, sagte er.
»Ich bin nicht böse. Aber wir müssen über ein paar Dinge reden.«
»Na gut.«
»Ich mach mir Sorgen, was aus dir wird, so ganz allein, wenn ich wieder zu mir nach Hause fahre.«
Thomas schüttelte den Kopf, als gäbe es da gar nichts, um das ich mich sorgen müsste. »Ich komm zurecht.«
»Dad hat hier alles gemacht«, fuhr ich fort. »Er hat gekocht, geputzt, die Rechnungen bezahlt. Er ist zum Einkaufen in die Stadt gefahren, er hat sich darum gekümmert, dass die Heizung funktioniert, und den Heizungsmenschen angerufen, wenn nicht. Alles, was sonst kaputt ging, hat er selbst repariert. Wenn das Licht ausging, ist er in den Keller gegangen und hat den Strom wieder eingeschaltet. Weißt du, wo der Schaltkasten ist, Thomas?«
»Die Heizung funktioniert bestens.«
»Du hast
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