Fenster zum Tod
keinen Führerschein«, sagte ich. »Wie willst du Lebensmittel einkaufen?«
»Ich werde sie mir bringen lassen.«
»Wir sind hier am Ende der Welt. Und wer soll in den Supermarkt gehen und die Sachen zusammensuchen, die du magst?«
»Du weißt, was ich mag.«
»Aber ich werde nicht da sein.«
»Aber du kannst kommen«, sagte er. »Einmal in der Woche, und mir Sachen zum Essen mitbringen und die Rechnungen bezahlen und nachschauen, ob mit der Heizung alles in Ordnung ist, und dann kannst du wieder zurückfahren. Nach Burlington.« Gleich darauf fügte er hinzu: »Vermont.«
»Und die anderen Tage? Nehmen wir mal an, du hast Essen im Haus. Kannst du dir selbst was kochen?«
Thomas sah weg.
Ich beugte mich vor und legte ihm die Hand auf den Arm. »Schau mich an.« Widerstrebend dreht er den Kopf.
»Vielleicht«, sagte ich, »könntest du dich ja ein bisschen umgewöhnen. Vielleicht kannst du ein paar von diesen Arbeiten selbst übernehmen.«
»Was meinst du damit?«
»Na, dass du dir deine Zeit vielleicht ein bisschen besser einteilen musst.«
Er sah mich ratlos an. »Ich teile mir meine Zeit sehr gut ein.«
Ich nahm die Hand von seinem Arm und legte beide Handflächen auf den Tisch. »Und zwar wie?«
»Ich tu’s einfach. Ich nütze meine Zeit sehr gut.«
»Wie sieht dein Tagesablauf aus?«
»Was für ein Tagesablauf? Unter der Woche oder am Wochenende?« Er wollte Zeit schinden.
»Würdest du sagen, dass dein Tagesablauf von Montag bis Freitag sich sehr von dem unterscheidet, was du am Wochenende machst?«
Er überlegte. »Wahrscheinlich nicht.«
»Dann ist es egal. Such dir einen Tag aus.«
Jetzt sah er mich misstrauisch an. »Machst du dich lustig über mich? Willst du mich runtermachen?«
»Du hast gesagt, du nützt deine Zeit vernünftig, also sag mir, wie.«
»Also ich steh gegen neun auf und geh mich duschen, und dann macht Dad mir Frühstück, so um halb zehn, und dann mach ich mich an die Arbeit.«
»Die Arbeit«, wiederholte ich. »Erzähl mir was darüber.«
»Du weißt doch, was ich mache.«
»Schon, aber ich glaube nicht, dass du das schon mal als Arbeit bezeichnet hast. Erzähl mir davon.«
»Nach dem Frühstück setze ich mich an die Arbeit, und ich mache eine Pause zum Mittagessen, und dann arbeite ich wieder, bis es Zeit ist fürs Abendessen, und dann arbeite ich weiter, bis ich ins Bett geh.«
»Und das ist wann? So um eins, zwei, drei Uhr morgens?«
Er nickte.
»Erzähl mir von der Arbeit.«
»Warum tust du das, Ray?«
»Vielleicht denke ich ja, dass du dich, wenn du ein bisschen weniger Zeit auf diese Arbeit verwenden würdest, besser um dich selbst kümmern könntest. Thomas, es ist kein Geheimnis, dass es da ein paar Probleme gibt, an denen du zu knabbern hast, und zwar schon sehr lange. Und die werden auch nicht einfach weggehen, das versteh ich. Genau wie Dad und Mom es verstanden haben. Und verglichen mit anderen, denen es genauso geht wie dir, die aber die Stimmen nicht ausblenden können oder andere Symptome haben, geht es dir wirklich gut. Du stehst auf, du ziehst dich selbst an, du und ich, wir können hier sitzen und uns vernünftig unterhalten.«
»Ich weiß«, sagte Thomas leicht indigniert. »Ich bin vollkommen normal.«
»Aber die Zeit, die du bei … deiner Arbeit verbringst, hält dich davon ab, dich allein um dieses Haus zu kümmern oder allein hier zu wohnen, und wenn du dazu nicht fähig bist, dann müssen wir uns nach einer anderen Lösung umsehen.«
»Was meinst du damit? Eine andere Lösung?«
Ich zögerte. »Dass du umziehst. Vielleicht in eine Wohnung, in der Stadt. Oder, und das muss ich mir erst noch alles durch den Kopf gehen lassen, dass du wohin ziehst, wo andere Menschen leben, die ähnliche Probleme haben wie du, wo es Leute gibt, die sich um alles kümmern, worum du dich nicht selbst kümmern kannst.«
»Warum sagst du dauernd ›Probleme‹? Ich hab keine Probleme, Ray. Ich habe ein Nervenleiden, das wir sehr gut im Griff haben. Wenn du Arthritis hättest, würdest du dann wollen, dass ich sage, du hast ein Problem mit deinen Knochen?«
»Tut mir leid. Ich wollte nur …« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Da, wo ich hingehen soll, ist das ein Krankenhaus? Für Verrückte?«
»Ich hab nie gesagt, dass du verrückt bist, Thomas.«
»Ich will nicht in einem Krankenhaus wohnen. Das Essen dort ist fürchterlich.« Er schaute auf den Hackbraten, den ich nicht aufgegessen hatte. »Sogar noch schlimmer als das. Und ich
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