Ferdinand Graf Zeppelin
erleben musste, wie sich der aus dem Wasser ragende Pfahl unbarmherzig in die Luftschiffhülle bohrte. Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis er die erste Gaszelle durchtrennen würde. Eine Explosion war nicht mehr zu vermeiden! Und sie alle würden mit dem Leben bezahlen. Unwillkürlich schloss Dürr die Augen. Doch die Katastrophe blieb aus. Ein Aluminiumträger hatte dem Druck des Holzpfahls anscheinend standgehalten. Gott sei Lob und Dank!
»Noch näher ran!« kommandierte Dürr, »und dann schauen wir, dass wir gleich eine der Haltel…« Mitten in seinem Satz wurde er unterbrochen, als die »Württemberg« plötzlich ruckartig zum Stehen kam. Dürr und sein Ingenieurskollege Kober, der ebenfalls aufrecht im Boot gestanden hatte, und den gasgefüllten Giganten unmittelbar vor ihnen nicht aus den Augen ließ, wurden zu Boden geschleudert. Die Schiffsschraube ihres Bootes hatte sich in den Halteleinen des Luftschiffs verheddert!
»Verdammt noch mal! Was war denn das?« rappelten sich die beiden ächzend wieder auf.
»Jetzt ist genau das passiert, was ich prophezeit habe«, brummte der Steuermann verdrießlich. »So schnell werden wir den Kahn nicht mehr flott bekommen. Und selbst wenn …« er deutete mit dem ausgestreckten rechten Arm über die Wasserfläche, »Sie sehen es ja selbst: überall schwimmen hier die Halteleinen von dem Luftschiff herum. Wir können nicht näher heran, sonst passiert genau dasselbe gleich noch einmal. Und jetzt müssen wir uns sowieso erst einmal um unsere Schraube kümmern.« »Aber wir müssen das Luftschiff von dem Pfahl befreien – so schnell wie möglich!« entgegnete Kober mit wachsender Verzweiflung in der Stimme. Eine Aussage, die der
Bootsführer mit einem fatalistischen Achselzucken kommentierte. Dann wandte er sich an seinen Gehilfen. »Paul! Schau zu, dass du ins Wasser springst und die Schraube wieder frei bekommst. Schwimmen kannst du ja hoffentlich? Und nimm ein Messer mit. Anders wird es nicht gehen: du wirst die Leinen durchschneiden müssen!««
Den beiden höchst besorgten Ingenieuren war jetzt endgültig klar: Es würde eine halbe Ewigkeit vergehen, bis sie wieder manövrierfähig sein würden. Viel zu lange! In diesem Augenblick ertönte von Steuerbord eine Stimme: »Ich werde das Luftschiff abschleppen!«
»Marx!«
Es handelte sich tatsächlich um Zeppelins privaten Bootsführer! Denn auch Ludwig Marx war es mit seinem kleinen Zubringerboot inzwischen gelungen, sich der Havariestelle zu nähern. Ohne sich um die erstaunten Gesichter seiner Nachbarn auf der »Württemberg« zu kümmern, formte er seine Hände zu einem Trichter und brüllte nun aus Leibeskräften zum Luftschiff hinüber: »Exzellenz! Machen Sie sich keine Sorgen! Ich schleppe Sie ab!«
Postwendend ertönte aus der vorderen Gondel die Antwort des Grafen: »Untersteh dich, Marx! Das schaffst du nicht mit deinem Boot. Hilf lieber den anderen!«
»Hast du gehört, Marx?!« donnerte Kober. »Du kommst jetzt sofort ganz dicht an uns heran und lässt uns einsteigen. Dann werden wir ohne Motor, nur mit den Rudern, zur Gondel vom Grafen hinüber fahren und lassen uns eine Säge geben.«
»Eine Säge?!« Verwundert starrte Marx hinüber. »Aber wozu denn eine Säge?«
»Weil wir mit der Säge den Holzpfahl absägen müssen, an dem das Schiff festhängt«, verkündete der Ingenieur seinen blitzschnell gefassten Beschluss. »Ich weiß, dass sie für eventuelle Notfallmaßnahmen ein gute Säge an Bord haben. Auf geht’s Marx, jetzt starre nicht weiter einfach in der Gegend herum, sondern hol die Ruder heraus. Und mach endlich den Motor aus. Nicht, dass du dich auch noch verhedderst.«
Gesagt – getan. Kobers Plan war aufgegangen. Wenige Minuten später hatten es die drei Männer geschafft, mit Hilfe einer tatsächlich in der Gondel mitgeführten Säge den Holzbalken abzusägen. Das Luftschiff war wieder frei – im Gegensatz zur »Württemberg«, wo sie immer noch mit den in der Schiffsschraube verwickelten Halteleinen zu kämpfen hatten. Auf Dauer gesehen würden die Strömung und der Wind allerdings zu stark sein, um das Schiff allein durch seine Motorkraft vom Ufer fernzuhalten. Was tun? Wieder hatte Kober eine Idee: »Jetzt nehmen wir eines von den großen Haltetauen auf und rudern dann ganz vorsichtig aus der Gefahrenzone heraus. Danach startest du den Motor und bringst uns zum Dampfschiff dort drüben!«
»Zur »König Karl« mit den ganzen Ehrengästen?«
»Ja, wohin denn sonst? Oder
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