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Ferne Tochter

Ferne Tochter

Titel: Ferne Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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für ihre Hilfe. Ich konnte ihr nicht sagen, dass ich am nächsten Tag nach Italien aufbrechen würde. Sie hätte alles getan, um mich von meinem Plan abzuhalten. Vielleicht wäre es ihr sogar gelungen, mich noch am selben Abend woanders unterzubringen.
     
    Ich habe gepackt, verstecke den Rucksack in meinem Schrank. Jetzt schreibe ich den Brief an Frau Hildebrandt. Ich setze mich aufs Bett. Es klopft. Ich sage nichts. Mutter öffnet die Tür. Was willst du?, frage ich. Wann hast du den Termin beim Notar? Wieso? Ich dachte mir, dass du die Adoption wahrscheinlich so schnell wie möglich über die Bühne bringen willst. Ich rühre mich nicht. Es geht ja frühestens acht Wochen nach der Geburt, fährt Mutter fort. Und die sind rum. Kümmer dich um deine eigenen Angelegenheiten, sage ich. Darin hast du doch Übung. Judith, bitte … Können wir nicht versuchen, uns zu versöhnen? Ach, auf einmal? Nachdem mein lästiger Bauch und das lästige Kind weg sind? Judith, bitte … Ich will meine Ruhe haben, sage ich. Aber ich meine es ernst, ruft Mutter. Ich auch, sage ich. Geh.
    Mutter schlägt die Tür hinter sich zu.
    Ich brauche eine Weile, bis ich anfangen kann zu schreiben.
     
    Hamburg, 22 . August 1991
    Liebe Frau Hildebrandt,
    wenn Sie diesen Brief bekommen, bin ich nicht mehr in Deutschland.
    Es tut mir leid, dass ich gestern Nachmittag nicht offen zu Ihnen war. Sie hätten versucht, mich an meinem Weggang zu hindern. Ja, Sie hätten gar nicht anders gekonnt. Wie könnte eine Lehrerin untätig zusehen, wenn eine ihrer Schülerinnen die Schule abbrechen will? Noch dazu eine, in die sie viele Hoffnungen gesetzt hat.
    Seien Sie nicht zu enttäuscht von mir. Ich werde meinen Weg gehen, auch wenn es ein Weg voller Umwege sein wird. Es ist für mich der richtige, der einzig mögliche. Sie werden sagen, dass ich zu jung bin, um das beurteilen zu können. Da muss ich Ihnen widersprechen. Nur wenn ich weggehe, kann ich meine Haut retten. Meine Eltern dürfen keine Macht mehr über mich haben.
    Ich habe viel bei Ihnen gelernt, habe durch Sie die Kunst entdeckt. Vielleicht schaffe ich es eines Tages, einen künstlerischen Beruf zu erlernen.
    Sie haben so viel für mich getan! Dafür werde ich Ihnen immer dankbar sein.
    Herzliche Grüße
    Ihre Judith Wolf
    P. S. Bitte suchen Sie nicht nach mir.
     
    Am nächsten Morgen unterschreibe ich beim Notar, dass durch die Adoption die verwandtschaftlichen Beziehungen sowie die Unterhalts- und Erbansprüche meines Kindes vollständig erlöschen.
     
    Auf dem Weg zur Autobahnraststätte Stillhorn werfe ich den Brief an Frau Hildebrandt in den Briefkasten.
    Ich breche auf.
    Endlich.

[home]
    34.
    I ch weiß nicht, wie lange ich wach gelegen habe.
    Um acht klingelt mein Wecker. Ich bin müde, versuche wieder einzuschlafen. Es gelingt mir nicht.
    Ob Frau Hildebrandt noch lebt? Sie müsste über achtzig sein.
     
    Das Haus in der Bebelallee sieht genauso aus wie damals. Auch das Namensschild an der Haustür ist unverändert.
    Ich drücke auf die Klingel.
    Ein Mann von Mitte fünfzig in Sportkleidung öffnet mir.
    »Entschuldigen Sie bitte die Störung …«
    Er runzelt die Stirn. »Worum geht’s? Ich kaufe grundsätzlich nichts an der Tür.«
    »Mein Name ist Judith Velotti. Ich war eine Schülerin von Frau Hildebrandt …«
    »Meine Mutter ist seit zehn Jahren tot.«
    »Oh … das tut mir leid …«
    Er will die Tür wieder schließen.
    »Warten Sie … Ich … Hat Ihre Mutter jemals den Namen Judith Wolf erwähnt?«
    »Nein.«
    »Sie hat mir sehr geholfen … Ich habe mit siebzehn ein Kind bekommen … und dann die Schule abgebrochen … Das ist über zwanzig Jahre her …«
    »Ah, warten Sie … doch, ich erinnere mich. Meine Mutter war entsetzt, als Sie plötzlich verschwunden waren.«
    »Hoffentlich hat sie meinen Brief bekommen …«
    »Einen Brief hat sie nicht erwähnt.«
    Warum habe ich mich nie bei ihr gemeldet? Ich hätte sie anrufen und ihr erzählen können, dass ich in Rom lebe und Fresken restauriere. Sie hätte Mutter und Vater nichts verraten.
    »Hören Sie, ich habe keine Zeit mehr.«
    »Natürlich … Vielen Dank.«
     
    An einem U-Bahn-Kiosk kaufe ich drei Zeitschriften, Mode, Essen, Innenarchitektur. Heute werde ich Mutter etwas vorlesen.
    Mein telefonino klingelt. Francesco, denke ich. Vielleicht ist er aus New York zurück und wundert sich, warum ich nicht zu Hause übernachtet habe.
    Es ist Selina. Sie will wissen, wie es meiner Mutter geht und ob ich

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