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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Wut und Ohnmacht spürte ich nicht einmal den Schmerz, den das hervorrief.
    »Das dürfen Sie nicht!« hörte ich hinter mir eine Stimme sagen, und eine Hand schloß sich um meinem Arm, bevor ich ein zweitesmal zuschlagen konnte.
    »Lassen Sie mich los!« Ich kämpfte, aber ich wurde eisern festgehalten.
    »Aufhören!« befahl er resolut. Er schlang seinen freien Arm um meine Taille und zog mich von der Reling fort. »Das dürfen Sie nicht«, wiederholte er. »Sie könnten sich verletzen.«
    »Verdammt! Das ist mir völlig egal!« Ich wand mich in seinem Griff, ließ mich dann aber entmutigt zusammensinken.
    Als er mich losließ, wandte ich mich zu ihm. Vor mir stand ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Zu den Seeleuten gehörte er nicht, denn seine Kleider, obwohl vom langen Tragen zerknittert und schmutzig, waren vornehm und von guter Qualität. Der taubengraue Rock war meisterhaft geschneidert und betonte die schlanke Figur, und das Jabot an seinem Kragen war aus Brüsseler Spitze gefertigt.
    »Wer, zum Teufel, sind Sie?« fragte ich erstaunt. Ich wischte mir die Tränen von den Wangen, schniefte und glättete instinktiv meine Haare. Ich konnte nur hoffen, daß er in der Dämmerung mein Gesicht nicht sah.

    Er lächelte und reichte mir ein zerknülltes, aber sauberes Taschentuch.
    »Ich heiße Grey«, antwortete er mit einer knappen, höflichen Verbeugung. »Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie die berühmte Mrs. Malcolm sind, deren Heldentaten von Kapitän Leonard so lautstark gepriesen werden?« Als ich eine Grimasse schnitt, hielt er inne.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Habe ich etwas Falsches gesagt? Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an, Madam! Mir lag es ganz und gar fern, Sie zu beleidigen.« Da er ehrlich erschrocken wirkte, schüttelte ich den Kopf.
    »Nicht gerade heldenhaft, wenn man den Männern beim Sterben zusieht«, erklärte ich. Meine Stimme war rauh, und ich putzte mir die Nase. »Ich bin da, das ist alles. Vielen Dank für das Taschentuch.« Unschlüssig überlegte ich, ob ich es ihm zurückgeben sollte, aber einfach einstecken mochte ich es auch nicht. Er löste das Problem mit einer abwinkenden Handbewegung.
    »Kann ich vielleicht sonst noch etwas für Sie tun?« Er zögerte. »Einen Becher Wasser? Vielleicht einen Schluck Weinbrand?« Er griff in seine Rocktasche, zog eine silberne Reiseflasche mit eingraviertem Familienwappen hervor und reichte sie mir.
    Mit einem dankbaren Nicken nahm ich das Fläschchen und trank einen kräftigen Schluck. Fast augenblicklich spürte ich, wie die Last der Verantwortung leichter wurde und sich neue Kraft in mir ausbreitete. Ich seufzte tief und trank noch einmal. Es half wirklich.
    »Vielen Dank«, sagte ich heiser, als ich ihm die Flasche zurückgab. Da mir das ein wenig kurz angebunden erschien, fügte ich hinzu: »Ich hatte ganz vergessen, daß man Weinbrand auch trinken kann. In letzter Zeit habe ich damit hauptsächlich Leute abgewaschen.« Aber diese Feststellung führte dazu, daß mir erneut und überdeutlich die Ereignisse des Tages vor Augen traten. Müde sank ich wieder auf das Pulverfaß, auf dem ich vorher gesessen hatte.
    »Ich vermute, daß die Seuche unvermindert ihre Opfer fordert«, meinte er ruhig. Seine blonden Haare schimmerten golden im Licht einer Laterne.
    »Nicht unvermindert.« Ich schloß die Augen, weil alles so trostlos
schien. »Heute hatten wir nur einen Neuerkankten. Gestern waren es vier und vorgestern sechs.«
    »Das klingt vielversprechend«, stellte er fest. »So als hätten Sie den Kampf gegen die Seuche gewonnen.«
    Ich schüttelte langsam den Kopf. Er kam mir dumpf und schwer vor.
    »Nein, wir können lediglich dafür sorgen, daß sich keine weiteren Männer mehr anstecken. Aber für die Männer, die schon krank sind, kann ich nichts, rein gar nichts tun.«
    »Ach wirklich?« Er griff nach meiner Hand. Verblüfft überließ ich sie ihm. Er strich mit dem Daumen über die Brandblase, die ich mir beim Abkochen der Milch zugezogen hatte, und dann über die roten Knöchel, die vom ständigen Kontakt mit dem Alkohol wund und rissig waren.
    »Für jemanden, der nichts tut, schienen Sie aber recht aktiv, Madam«, stellte er trocken fest.
    »Natürlich tue ich etwas!« fuhr ich ihn an und entzog ihm die Hand. »Nur richte ich damit nichts aus.«
    »Ich bin sicher -« setzte er an.
    »Nein, nichts!« Ich schlug mit der Hand gegen die Kanone, eine dumpfe Handlung, in der die Sinnlosigkeit des ganzen Tages

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