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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Schiffsgefängnis verbannt, dem einzigen Ort, wo seine Quarantäne sichergestellt war.
    Als ich von der Kombüse an Deck kam, versank die Sonne im Meer. Ihre Strahlen überzogen die Wogen des Atlantiks mit goldenem Licht. Verzaubert blieb ich stehen.
    Zwar hatte ich solche Augenblicke schon früher erlebt, aber sie erstaunten mich immer wieder aufs neue. Es geschah immer dann, wenn ich in meinem Beruf großer Belastung ausgesetzt war, wenn ich knietief in Sorgen und Arbeit steckte. Plötzlich sah ich aus dem Fenster, öffnete eine Tür, blickte in ein Gesicht, und dann überkam er mich aus heiterem Himmel - dieser Augenblick des Friedens.
    Das Schiff glitt in einer Lichterspur dahin, und der weite Horizont war nicht länger ein bedrohliches Monument der Leere, sondern die Wohnstätte der Freude. Für einen kurzen Moment lebte ich im Zentrum der Sonne. Sie wärmte und reinigte mich, so daß ich die Krankheit und ihre Ausdünstungen vergaß und alle bitteren Gefühle aus meinem Herzen wichen.
    Ich hatte diesen Augenblick nie bewußt gesucht, ihn nie benannt, doch ich erkannte ihn immer, wenn er mir denn gewährt wurde. Diesen kurzen Augenblick genoß ich still, wunderte mich und nahm es dann hin, daß mir diese Gnade auch hier zuteil werden konnte.
    Dann tauchte die Sonne unter. Der Augenblick war vorüber, und
wie immer spürte ich noch einen Nachhall des Friedens. Ich bekreuzigte mich und ging nach unten.
     
    Vier Tage später starb Elias Pound. Mit geschwollenen Augen und fiebernd war er bei mir im Schiffslazarett aufgetaucht. Grelles Licht konnte er nicht ertragen. Sechs Stunden später lag er im Delirium, unfähig, sich vom Lager zu erheben. Am folgenden Morgen schmiegte er seinen runden Kopf an meinen Busen, nannte mich »Mutter« und verschied in meinen Armen.
    Tagsüber tat ich, was getan werden mußte, und am Abend stand ich neben Kapitän Leonard, als er die Bestattungszeremonie abhielt. Dann wurde der Leichnam von Seekadett Elias Pound dem Meer übergeben.
    Ich lehnte die Einladung des Kapitäns, mit ihm zu Abend zu essen, ab und suchte mir statt dessen ein ruhiges Plätzchen auf dem Achterdeck neben einer der großen Kanonen, wo niemand mein Gesicht sah. Wieder bot sich mir ein prachtvoller Sonnenuntergang, doch diesmal wurde mir kein Moment der Gnade gewährt, diesmal fand ich keinen Frieden.
    Als sich die Dunkelheit über das Schiff senkte, erlahmte die Betriebsamkeit an Deck. Ich lehnte den Kopf gegen die Kanonen. Einmal ging, raschen Schritts und alle Gedanken auf seine Aufgabe gerichtet, ein Matrose an mir vorbei, doch dann war ich allein.
    Jeder einzelne Muskel tat mir weh, mein Rücken war steif, die Füße geschwollen, doch all das war nichts im Vergleich zu den Schmerzen, die mein Herz zusammenkrampften.
    Jedem Arzt ist es ein Greuel, einen Patienten sterben zu sehen. Der Tod ist der Feind, und jemanden, den man betreut, an den Sensenmann zu verlieren, kommt einer Niederlage gleich. Man empfindet nicht nur Trauer über den Verlust und den Schrecken ob seiner Endgültigkeit, man fühlt sich auch betrogen und unfähig. Zwischen Sonnenaufgang und -untergang hatte ich dreiundzwanzig Männer verloren. Elias war nur der erste gewesen.
    Mehrere waren gestorben, während ich sie mit kaltem Wasser wusch oder ihnen die Hände hielt. Andere mußten allein in ihrer Hängematte sterben, weil ich nicht rechtzeitig zu ihnen kommen konnte. Eigentlich hatte ich geglaubt, mich an die Bedingungen dieses Jahrhunderts gewöhnt zu haben, doch der Gedanke, daß
Penicillin die meisten der Kranken hätte retten können, mir aber nicht zur Verfügung stand, fraß an meiner Seele.
    Die Schachtel mit den Spritzen und Ampullen war auf der Artemis zurückgeblieben. Aber selbst wenn ich sie dabeigehabt hätte, hätte ich sie nicht einsetzen können. Und wenn doch, hätte ich damit nicht mehr als ein oder zwei Leben gerettet. Aber das konnte ich mir noch so oft vorhalten - angesichts der Vergeblichkeit erfüllte mich ohnmächtige Wut. Ich biß die Zähne so fest zusammen, daß mir die Wangenknochen weh taten, wenn ich von einem Kranken zum nächsten ging und nichts bieten konnte als gekochte Milch und Schiffszwieback.
    Unsicher taumelten meine Gedanken von einem Mann zum anderen. Ich sah jeden vor mir, den ich heute versorgt hatte, sah ihre Gesichter - schmerzverzerrt oder vom Tod geglättet -, und alle sahen sie mich an. Mich. Ich hob die Hand, die so wenig ausrichten konnte, und schlug sie gegen die Reling. In meiner wilden

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