Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ferne Verwandte

Ferne Verwandte

Titel: Ferne Verwandte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaetano Cappelli
Vom Netzwerk:
kirchliche Lieder singen, was einem als Erstes einfallen würde …«
    »Vielleicht könnte ich mit meiner Musik weitermachen, mich aber so anziehen wie sie … Jaja, das ist es«, erhitzte sie sich.
    Ich sah sie vor mir, klein, dick, gekämmt wie Gemma und mit Gemmas altgriechischen Gewändern am Leib: ein Nachtkasten mit Schirmlampe drauf. »Nein, nein«, sagte ich entschlossen. »Unter gar keinen Umständen.«
    »Wie dann?«, fragte sie kleinlaut.
    »Zuallererst musst du ein wenig Diät machen.«
    Sie schaute an sich herunter und strich sich den Rock über dem Wanst glatt. »Findest du, dass ich Übergewicht habe?«
    »Na ja … Jedenfalls muss ich noch etwas nachdenken. Ich brauche noch Zeit.«
    »So viel du willst, mein liebes Christuslein … Unterdessen hat deine Veronica schon an dich gedacht. Halt dir den morgigen Nachmittag frei, wir haben einen Termin bei Ray Kapinsky.«
    »Wer soll das denn sein?«
    Es war ein Privatdetektiv, ein großer, knochiger Typ mit einem markanten Adamsapfel, der an seinem pockennarbigen Hals auf und ab hüpfte, während zwischen seinen kariösen Zähnen unverständliche Sätze hervordrangen - an Philip Marlowe erinnerte bestenfalls die Schäbigkeit seines Büros. Völlig unmissverständlich war hingegen, dass er einen Vorschuss verlangte: dreitausend Dollar für die ersten vierzehn Tage. Ich blätterte sie widerwillig hin,
aber Veronica hatte recht: Das war die einzige Möglichkeit, etwas herauszubekommen, denn das finstere Herz der Wälder nördlich von Quebec City war doch viel zu groß, als dass man ohne genauere Angaben dorthin hätte reisen und Cybill suchen können. Kapinsky schien mir trotzdem der Letzte zu sein, an den man sich hätte wenden sollen. Als wir auf die Straße hinaustraten, schüttelte ich den Kopf, und auch das Dickerchen seufzte. »Manchmal trügt der Schein«, sagte sie. »Aber Vernon - und ich spreche von dem klügsten meiner Verflossenen - hat mir versichert, dass er der Beste auf dem Markt ist.«
    Es vergingen fast zwei Monate, in deren Verlauf es mir gelang, Jeff B mit einem Praetiosa-Gemma-Bild zu versorgen, indem ich, so gut es ging, einen ihrer Entwürfe kolorierte. Nachdem ich die Summe eingesteckt hatte - ein Freundschaftspreis, natürlich, aber immer noch von erklecklicher Höhe -, die Jeff mir, ohne mit der Wimper zu zucken, ausgehändigt hatte, zog ich einen Handel mit Fälschungen auf, der es mir erlaubte, den Forderungen von Kapinsky nachzukommen, später dann auch jenen der anderen Detektive, an die wir uns nach seinem vorhersehbaren Scheitern wandten, ohne je den geringsten Erfolg zu erzielen. Whiteagle war unauffindbar und ich dermaßen deprimiert, dass ich Gemma zu ihrem Christus auf dem Weg zum Kalvarienberg inspirierte. Genau wie die Heilige, deren Namen sie trug, es mit dem Mann aus Nazareth auf jenem Unglücksberg getan hatte, kam Veronica, während ich posierte, zu mir, spendete mir Trost und flüsterte: »Jetzt schaffen wir es: Ich habe jemanden gefunden, der dein Problem lösen kann.«
    Ich beobachtete sie in dem großen Spiegel, den Gemma vor mir aufzustellen pflegte, damit ich die gewünschte Positur beibehielt. Veronica war offensichtlich der verschiedenen Verkleidungen, mit denen sie den Aufbau einer Persönlichkeit versucht hatte, überdrüssig geworden; ein einfaches Kopfschütteln meinerseits hatte jeweils genügt, um ihre Aufmachung als - in dieser Reihenfolge - christliche Märtyrerin, mittelalterliche Mystikerin, barfüßige Karmeliterin und kühne Kreuzritterin zu verwerfen. Als sie an jenem
Tag ins Atelier kam, war sie aufgemacht wie das junge Vorstadtflittchen, das sie war. Die rabenschwarzen Haare gekräuselt, ein offenherziges Oberteil über dem mickrigen, in einen Büstenhalter aus schwarzer Spitze gezwängten Busen und Lederjeans, die auf Pohöhe einen Riss aufwiesen. Und das wirkte, verdammt, und wie das wirkte! Will sagen: Allein die Tatsache, dass sie so vor mir erschien, der ich unter einem grün leuchtenden Kreuz niedergebeugt war, hatte schon etwas Skandalöses, Frevelhaftes: Das war es, was sie brauchte! Jedes Mal mit einem gekreuzigten Christus im Schlepptau auf der Bühne aufzutauchen ging allerdings nicht. Zu konstruiert, zu kompliziert. Man brauchte etwas Allusiveres, etwas Augenzwinkerndes. Aber was? Am Nachmittag danach wusste ich es. Und am selben Nachmittag erfuhr ich auch noch etwas anderes, was für mich viel wichtiger war.
    Veronica hatte sich im Red Bell, einer jener schäbigen Spelunken in

Weitere Kostenlose Bücher