Fessel Mich
siebzig, achtzig Quadratmeter für sich allein haben, dem äußeren Anschein nach zu urteilen. Oder hatte er einen Mitbewohner?
Aber selbst wenn, da kam ich mir mit meinen sechsundvierzig Quadratmetern irgendwie winzig vor – und dabei war das schon die größte Wohnung in meinem Freundeskreis, noch dazu in einem gediegenen Stadtviertel mitten im Zentrum. Und trotzdem bezahlten meine Eltern dafür wahrscheinlich mehr als Rick für seinen Palast hier draußen.
Bei dem Gedanken wurde mir ein bisschen unbehaglich zumute.
Ja, ich hatte nie Geldsorgen gehabt, weil meine Eltern mir immer alles Mögliche hatten geben können – wahrscheinlich zum Zeichen ihrer grenzenlosen Liebe zu ihrem einzigen Sohn, die sich für sie am leichtesten in materiellen Dingen hatte ausdrücken lassen. Seit meinem Outing war der nie versiegende Geldstrom allerdings eine bequeme Variante geworden, mich guten Gewissens aus ihrem Blickfeld herauszuhalten. Sie schickten mir Geld und ich ging mit meiner sexuellen Neigung nicht in ihrem ach so wertvollen Freundeskreis hausieren.
Rick hingegen musste offensichtlich ganz auf sich allein gestellt für seinen Lebensunterhalt aufkommen. Ob er deswegen Gogo-Tänzer im ‚Palace‘ war? Wenn ich Freddy glauben konnte, der schon mal was mit einem Gogo hatte, verdienten die während einer Nacht doch ganz ordentlich. Aber zu welchem Preis? Ständig gut drauf sein, ständig halbnackt durch die Gegend springen, ständig am nächsten Morgen übermüdet sein? Dabei fiel mir ein – machte Rick noch was anderes, als nachts schwule Männerphantasien anzuregen?
Rick schloss die Wohnungstür im dritten Stock auf und öffnete sie. Gleichzeitig meinte er: »Oh, da fällt mir ein: Ich hoffe, du hast keine Angst –«
Der Rest ging in einem einzigen, lauten Bellen unter, als ein flinkes, schwarzes Etwas mit schierer Lichtgeschwindigkeit durch den Flur auf uns zupreschte. Die Krallen gaben auf dem rutschigen Parkettboden klickende Geräusche von sich, dann war der Hund auch schon bei uns angekommen und sprang Rick freudig winselnd an.
Der wuschelte dem Tier durch das fingerlange, schwarze Fell und drückte ihm einen Begrüßungskuss auf den Kopf, was mit einem weiteren Kläffen belohnt wurde. »Scht. Was hab’ ich dir über das Bellen spätnachts gesagt, hm? Du musst mir auch mal zuhören, wenn ich dir was erkläre, mein niedlicher, großer Dummkopf, sonst fliegen wir beide noch aus der Wohnung.«
Rick sprach mit so säuselnder Stimme zu dem Hund und streichelte ihm so zärtlich den Kopf, dass ich ganz wabbelige Beine bekam und mir spontan wünschte, den Platz mit dem Hund tauschen zu können. Außerdem – Himmel! Er sprach mit seinem Hund! Und das auf so niederschmetternd liebenswerte Weise, dass mein Herz ganz schwer wurde und er mich noch ein bisschen mehr um den Finger wickelte.
»So. Und jetzt runter mit dir.« Er packte die Vorderpfoten, die der Hund – meiner Ansicht nach ein waschechter Mischling aus vielleicht Schäferhund, Australian Shepard und Irish Setter oder so – gegen seinen Bauch gestemmt hatte, und schubste ihn von sich weg. Mit einem Seitenblick auf mich wollte er wissen: »Hast du Angst vor Hunden?«
Warum konnte er mich nicht so ansehen wie seinen Hund? »Nein.« Das wäre in diesem Moment auch völlig ungeeignet gewesen, denn der Hund schnupperte völlig ohne Scheu an meinen Beinen herum, stupste meine lose Hand mit der langen, schmalen Schnauze an und versenkte eben diese Schnauze keine Sekunde später punktgenau in meinem Schritt.
Okay. Jetzt bekam ich ein leichtes, ängstliches Kribbeln.
»Äh…«
Rick prustete los und schloss nebenbei die Wohnungstür hinter uns. Mit einem Grinsen lehnte er sich dagegen und beobachtete belustigt, wie sein Hund mit mir auf Tuchfühlung ging.
»Ähm, äh… Rick?«
»Schubs’ ihn weg.«
Bitte?! »Und wenn er mich beißt?« DA?!
»Der beißt nicht. Rusty.« Rick spitzte die Lippen und machte ein seltsames Kussgeräusch, bei dem Rustys Kopf hochschnellte und er Schwanz wedelnd sein Herrschen ansah. Also… Schweif wedelnd. Obwohl mein Schwanz bei Rick auch zu wedeln anfangen könnte, davon mal abgesehen.
‚Oje, ich bin völlig hinüber‘.
»Sitz.«
Prompt senkte sich das Hinterteil des Hundes auf den Boden, auch wenn er Rick immer noch mit diesen sprichwörtlichen Hundeaugen ansah. Eins musste ich ihm ja lassen – er hatte Rusty wirklich gut erzogen.
Rick stieß sich von der Tür ab und ließ seine Sporttasche achtlos mitten im
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