Fessel Mich
da bin ich aber beruhigt.«
Und ich erst. Fälschlicherweise habe ich Piet für einen etwas intelligenteren Menschen gehalten.
»Könnten wir jetzt wieder zum Diebstahl meines Fahrrads zurückkommen?«
»Was? Natürlich. – Vielleicht hat der Kleine es gestohlen.«
»Der Kleine?«
»Der Ausreißer. Immerhin war der ganz schön sauer auf dich, als du ihn rausgeschmissen hast.«
Noch mal: Der Kleine? Damit verbinde ich irgendwie etwas Süßes und Niedliches. Als wir bei dem Freak heute Mittag Weckruf gespielt haben, ist der ganz sicher nicht süß oder niedlich gewesen. Aber vielleicht hat er gerade deswegen mein Rad gestohlen. Zuzutrauen wäre es ihm auf alle Fälle.
Scheiße. Wenn ich den erwische, schleife ich ihn persönlich zur nächsten Polizeistation.
»Du wolltest die Polizei rufen – warum hat er deins nicht geklaut? Oder wenigstens die Reifen aufgeschlitzt, weil er das Schloss nicht knacken konnte?«
Piet verzieht über meine offensichtliche Missgunst auf sein Glück etwas pikiert den Mund. »Ich war dabei wenigstens noch nett. Außerdem stand mein Rad nicht direkt an der Bude. Vielleicht hat er gedacht, ich bin zu Fuß oder so.«
Grandios. Wenn der Typ denken könnte, wäre er sicherlich nicht von zu Hause ausgerissen.
»Soll ich dich vielleicht mitnehmen? Auf dem Gepäckträger?«
»Nein, danke. Du musst ja in eine ganz andere Richtung. Ich laufe.«
»Okay, wie du willst.« Er zuckt mit den Schultern und verabschiedet sich dann von mir.
Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte bezüglich meines Schwulseins noch ein bisschen länger die Klappe gehalten, aber wenn es nicht gerade um meine Oma geht, sehe ich da keinen Grund für. Ich hoffe, Piet gewöhnt sich schnell daran, weil ich nämlich keine Lust habe, die letzten zweieinhalb Wochen bis Weihnachten immer wieder schräg von ihm angesehen zu werden.
Verstimmt ramme ich die Hände in meine Manteltaschen und gehe los. Mit dem Fahrrad brauche ich bis hierher fünfzehn Minuten – zu Fuß würde das also wie lange dauern?
Keine Ahnung. Ist vielleicht auch besser, ich grüble nicht darüber nach, sonst komme ich noch sehr schlecht gelaunt zu Hause an. Hoffentlich bekommt meine Oma vor lauter Sorge wegen meiner Verspätung keinen Herzkasper. Der letzte hat sie schon ins Krankenhaus gebracht; noch mal muss ich das nicht mitmachen. Ich würde sie ja anrufen, wenn ich nicht zum letzten Monat meinen Handyvertrag gekündigt hätte, weil das auf die Dauer zu teuer geworden ist. Jetzt schleppe ich nur noch rund drei Euro auf meiner Prepaid-Karte mit mir rum, aber die müssen für wirklich, wirklich wichtige Notfälle reichen. Und das bis zum Januar.
Allmählich lasse ich die Lichter und den Lärm des Weihnachtsmarkts und der Einkaufsstraße hinter mir und tauche in etwas ruhigere Wohnviertel ab. Wirklich ruhig ist es natürlich nicht, aber man gewöhnt sich an alles. Besonders, wenn man hier aufgewachsen ist. Dann kann man auch die lichtscheuen, finsteren Gestalten rechts und links ignorieren oder die Streitgespräche, die aus offenen Fenstern auf die Straße schallen.
»Oh, zu Fuß unterwegs?«, tönt es da auf einmal laut hinter mir. »Was ist mit deinem Rad passiert?«
Dieser...!
Ich drehe mich um und sehe wie erwartet den Freak von heute Mittag vor mir stehen, den Rucksack lässig über eine Schulter gehangen, die Jacke fröstelnd bis oben hin zugezogen. Er hat weder einen Schal noch Handschuhe dabei, und dass ihm arschkalt ist, kann ich ihm an der roten Nasenspitze ansehen.
»Ich weiß auch nicht. Frag’ den Dieb.« Ich mache einen Satz nach vorne und packe ihn am Arm, ehe er mir ausbüxen kann. »Also, was ist mit meinem Rad passiert?«
»Autsch!«, zetert er los und rüttelt erfolglos in meinem Griff herum, ehe er mich wütend anblitzt. »Alter, an deiner Stelle wär’ ich etwas netter zu mir. Ich müsste nur einmal laut schreien und schon bist du der Kinderschänder vom Dienst.«
Ich glaube, der überschätzt sich selbst ganz gewaltig. Und er scheint nicht in dieser Stadt zu wohnen, sonst wüsste er, dass er, wenn er so viel Zivilcourage erwartet, einen anderen Stadtteil hätte wählen müssen.
Daher verstärke ich meinen Griff noch ein wenig und ziehe ihn so dicht an mich heran, dass er den Kopf in den Nacken legen muss, wenn er den Augenkontakt nicht unterbrechen will. Das helle Grün flackert unsicher.
»Nur zu«, raune ich bewusst bedrohlich, woraufhin sich seine Augen ein wenig weiten.
»Hey. Cool bleiben. Schon gut.
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