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Fesseln der Sehnsucht

Fesseln der Sehnsucht

Titel: Fesseln der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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hinaus. Bevor sie recht wusste, was sie eigentlich tat, stand sie vor dem Haus der Colliers.
    Nancy, das irische Hausmädchen mit grünen Augen und rotem Haar, öffnete ihr die Tür und führte sie in den Salon. Lucy saß in dem elegant eingerichteten Zimmer inmitten prachtvoller Mahagonimöbel und starrte auf die geschlossene Tür, hinter der sie gedämpfte, aufgeregte Stimmen der Colliers hörte. Endlich trat Daniel ein und schloss die Tür hinter sich. Lucy empfand es als gewissen Trost, dass er ebenso bleich und verhärmt aussah, wie sie sich fühlte. Seine braunen, so vertrauten Augen waren verdunkelt und hart.
    »Ich musste kommen«, begann Lucy mit bebender Stimme. »Ich muss mit dir sprechen.«
    Daniel nahm am anderen Ende des Sofas Platz, steif und kerzengerade. »Du kennst mich gut genug«, murmelte er, »um zu wissen, wie ich mich fühle.«
    »Daniel«, flüsterte sie, starr vor Angst. »Es ist nicht schwer, einander in guten Zeiten zu lieben, wenn alles gut geht und es keine Sorgen gibt … aber die wahre Liebe … die uns verbindet … wie ich glaube … wahre Liebe besteht auch weiter, wenn … wenn alles so … schrecklich ist und …« Plötzlich versagte ihr die Stimme. Sie brach in Tränen aus.
    Daniel rührte sich nicht. »Bitte strafe mich nicht länger«, schluchzte sie. »Ich habe einen schrecklichen Fehler begangen. Ich bereue zutiefst, was ich getan habe. Ich tue alles, was du verlangst, alles, was du willst, den Rest meines Lebens … mein Gott, ich brauche dich so sehr … bitte nimm mich in die Arme … verzeih mir, bitte, bitte …«, flehte sie mit erstickter Stimme, bis sie seine Hände an ihrer Schulter spürte. Bei seiner Berührung schluchzte sie auf und wollte sich ihm an die Brust werfen in überwältigender Erleichterung. Doch seine Arme hielten sie von sich fern.
    »Du tust mir Leid«, sagte er. Sein Blick war tot. Seine Stimme klang unendlich kalt. »Es tut mir Leid, was du uns angetan hast was du dir selbst angetan hast. Aber ich heirate dich nicht aus Mitleid. Und Mitleid ist alles, was ich noch für dich empfinde. Ich habe dich geliebt, als ich dich für … eine Frau hielt, die ich lieben kann. Aber die Frau, die aus dir geworden ist, will ich nicht mehr. Es tut mir Leid.«
    In ihrem namenlosen Schmerz begriff sie die Endgültigkeit seiner Worte. Es gab kein Zurück. Es gab keine Vergebung. Langsam straffte Lucy die Schultern und erhob sich mit zitternden Knien. Auch Daniel stand auf, streckte den Arm aus, als sie zu wanken begann. »Rühr mich nicht an«, stieß sie gepresst hervor und erschrak über ihre schrille Stimme. »Behalte dein Mitleid für dich. Ich brauche es nicht.« Auf unsicheren Beinen wich sie vor ihm zurück, machte kehrt und floh wie von Furien gehetzt aus dem Haus. Es gab nur noch einen Ort, wohin sie gehen konnte. In ihrem Kopf war ein schrilles, unablässiges Kreischen, als sie sich auf ihr Ziel zubewegte.
    Heath erschien in der Tür des kleinen Hauses, als Lucy sich aus dem Sattel ihrer zierlichen Stute Dapper schwang – ein Geschenk ihres Vaters. Heath zeigte sich nicht erstaunt über ihren Besuch und enthielt sich jeder Bemerkung, wieso sie allein gekommen war. Lucy schoss der Gedanke durch den Kopf, dass ihre Schande ihr plötzlich ein gewisses Maß an Freiheit gestattete. Was immer sie jetzt tat, die Blicke der Nachbarn konnten nicht noch missbilligender sein, das Getuschel hinter ihrem Rücken nicht noch bösartiger. Sie betrat das Haus und setzte sich auf einen Stuhl vor dem Kamin. Ihre Verzweiflung wich und hinterließ eine betäubende Kälte, die ihre Scham und ihre Qualen abstumpften, die eine Woche in ihr getobt hatten. Heath nahm wortlos ihr gegenüber Platz. Sie spürte seinen ruhigen Blick auf sich und hob trotzig das Kinn.
    Eine Woche hatte genügt, um eine große Veränderung in ihr zu bewirken, eine größere Veränderung, als in ihrem ganzen Leben vorgegangen wäre, hätte sie ihn nicht kennen gelernt. Sie hatte abgenommen, die weichen Rundungen ihrer Figur hatten sich verloren. Obwohl ihr Gesicht vom Weinen verquollen war, wirkte es schmaler.
    Ihre zart gerundeten Wangen waren hohl, die markante Kinnpartie und die hohen Wangenknochen zeichneten sich deutlicher ab. Ihre haselnussbraunen Augen hatten ihren warmen Schmelz verloren, in ihnen glühte eine kristallene Härte. Der Schwung ihrer Augenbrauen war energischer geworden. Alles Kindliche war für immer verloren, hatte dem reizvolleren Ausdruck einer erwachsenen Frau

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