Fesseln des Herzens
die er ausgestoßen hatte, hatten dermaßen tierisch geklungen, dass es Nicole zugleich entsetzt und auf irritierende Weise erregt hatte.
Wie würde es bei Baron of Ravencroft sein? Wie lange würde er brauchen, um sie zu schwängern?
Vielleicht stirbt er ja noch in der Hochzeitsnacht, dachte Nicole lästerlich. So etwas war durchaus schon mal vorgekommen.
Der Wagen rumpelte weiter, und es schien fast, als rüttelte er nicht nur ihre Knochen, sondern auch ihre Gedanken durcheinander. Dass sie sich der Burg näherten, bekam Nicole daher zunächst nicht mit. Erst als die ersten Häuser vor ihnen erschienen, erwachte sie aus ihrer Nachdenklichkeit.
Auf der Straße kreuzten Hunde und Schweine ihren Weg.Letztere stürmten quiekend davon, als die eisenbeschlagenen Räder dicht an ihnen vorüberratterten.
Es dauerte nicht lange, bis sie auf neugierige Zuschauer trafen, die sich am Straßenrand versammelt hatten, um die Braut ihres Herrn zu begrüßen. Lumpen mischten sich hier mit feinen Gewändern, Schweißgeruch und Mistgestank hingen wie eine Wolke über den Massen. Hier und da ertönten Hochrufe, doch die meisten Menschen betrachteten die Kutschen wie fremde Fabelwesen oder reckten die Hälse, um einen Blick auf ihre zukünftige Herrin zu werfen.
Nicole hielt sich angewidert ihr Taschentuch, das mit Rosenwasser getränkt war, vor die Nase, um den Gestank zu lindern, der in die Kutsche drang.
Warum habe ich nicht wie Beatrice nach London heiraten können?, fragte sie sich. Oder wie Isabell nach Oxford?
In den Städten roch es zwar auch nicht besser, aber dort gab es Feste und Vergnügungen, wohingegen sie sich hier in dieser gewiss zugigen Burg langweilen würde. Warum schickt mich mein Vater bloß in Englands rauhen Norden? In die Nähe der schottischen Barbaren!
Während sie ihre aufkommende Wut zu verdrängen versuchte, besah sie sich die Häuser, die nicht gerade ärmlich wirkten. Hier und da hatten sie sogar ein zweites Stockwerk und statt Reisig meist Schindeln auf den Dächern. Große Stallungen erhoben sich hinter den Wohngebäuden, einige Höfe wirkten, als könnten sie sich ebenso gut in der Nähe einer reichen Stadt befinden.
Immerhin hatte der Brautwerber, was das anging, nicht geflunkert. Ein leiser Gedanke schlich sich in ihre Verstimmung. Was, wenn mir dieser Flecken Erde allein gehörte? Hier ließe sich sicher das eine oder andere Goldstück mehr herauspressen. Der Baron hielt die Zügel ganz offensichtlich zu locker. Kaum ein Dorf in der Grafschaft ihres Vaters verfügte über solch einen Wohlstand!
Vielleicht wendet sich ja doch noch alles zu meinem Vorteil, dachte Nicole und malte sich aus, wie sie sich von den erhöhten Einnahmen Pelze und schöne Gewänder kaufte.
Schließlich erreichten sie das Gotteshaus, das sich in der Nähe der Burg befand. Der Turm, den ein paar Tauben umflatterten, ragte hoch und trutzig in den Himmel. Das Krächzen der Raben war das einzig störende Geräusch, das vom Gottesacker herüberwehte.
»Da sind sie!«, flüsterte Celeste und deutete zum Kirchenportal, wo sich bereits eine Gruppe von Menschen versammelt hatte.
Pferde mit bunten Überwürfen säumten den Weg, Blumenschmuck fand sich sowohl im Haar der Damen als auch am Wegesrand, wo zahlreiche Girlanden den Gästen den Weg wiesen. Unter den anwesenden Herren, in der Mitte seiner Gefolgsleute, stand der Bräutigam.
Nicole kniff die Augen zusammen, während sie ihn maß.
Er war hochgewachsen und muskulös, sein langes schwarzes Haar hatte er zu einem Zopf zusammengebunden. Sein Kinn war glatt rasiert, und sein Körper steckte in einem eleganten Hochzeitsgewand, an das ein Myrtenzweig gebunden war.
Im Hintergrund hörte sie ihre Zofen und auch die Kammerfrau schwärmerisch raunen.
»Ihr könnt Euch glücklich schätzen. Trotz seines Alters ist Euer Gemahl wirklich ein Bild von einem Mann«, flüsterte Celeste ihr zu. »Und der Maler hat ihn weder schöner noch jünger gemacht.«
Sie selbst empfand dagegen nichts bei seinem Anblick. Vielmehr richteten sich ihre Gedanken auf die Annehmlichkeiten, die sie sich leisten würde – als Entschädigung für diese Vermählung. Und darauf, dass der Burgherr sie vielleicht nicht lange plagte und frühzeitig starb. Das zauberte immerhin ein Lächeln auf ihr Gesicht.
»Sie kommen!«
Der Ruf des Jungen, der auf den Kirchturm geklettert war, um Ausschau nach der Brautkutsche zu halten, hallte über den Kirchenvorplatz, während er sich die Kappe vom Kopf riss
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