Fesseln des Herzens
stieg dann selbst aus dem Sattel.
»Was ist?«, fragte er, worauf der Haushofmeister den Kopf noch weiter senkte.
»Eure Gemahlin«, presste er hervor. »Sie hat sich das Leben genommen.«
Der Baron starrte den Mann erschrocken an. »Wie ist das passiert?«
»Sie hat sich im Morgengrauen vom Bergfried geworfen.«
Ein entsetzter Ausdruck trat auf Ravencrofts Gesicht. Er hätte nicht damit gerechnet, dass sich seine Gemahlin auf diese Weise ihrer Strafe entziehen würde.
»Was ist mit meiner Tochter?«, fragte er, denn plötzlich kam ihm ein erschreckender Gedanke.
»Die kleine Baroness ist wohlauf. Celeste und die Amme kümmern sich um sie.«
Erleichtert schloss der Baron die Augen. Immerhin dieser Schrecken würde ihm erspart bleiben.
»Bringt mich zu ihr«, sagte er schließlich und wandte sich nach Aimee um.
Die schüttelte den Kopf. Nein, auf diesem Gang konnte sie ihn nicht begleiten.
Ravencroft verstand das. Er folgte dem Haushofmeister, der ihn in die Burgkapelle führte, wo Nicole aufgebahrt auf einer Steinplatte lag.
Ihr Hals stand in einem seltsamen Winkel zum Rest des Körpers ab, doch ihr Gesicht wirkte friedlich.
Obwohl in Ravencrofts Herzen noch immer der Zorn auf seine Gemahlin tobte, sank er vor ihr auf die Knie und sprach ein leises Gebet. Gleichzeitig fragte er sich, ob alles anders gelaufen wäre, wenn er nicht darauf bestanden hätte, noch einmal zu heiraten und einen Erben zu bekommen. Nicole wäre von ihrem Vater ins Kloster geschickt worden, Henry hätte ihn nicht verraten …
Doch auch Aimee hätte er dann nicht kennengelernt.
Das Schicksal, das wusste er, ging seltsame Wege. Vielleicht war der Weg zu Aimee ja der einzig richtige für ihn.
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Epilog
Frühjahr 1288
E in leises Summen erfüllte die Frühlingsnacht. Unzählige Sterne funkelten am Himmel, dessen Ränder mit dem letzten Abendrot verziert waren. In den Bäumen riefen die Käuzchen, und die ersten heimgekehrten Singvögel erprobten ihre Melodien, um ihren Rivalen zu zeigen, dass sie in der Nähe ihrer Nester nichts verloren hatten.
»Warum wolltest du gerade heute hierherkommen? Noch dazu zur Nachtzeit?«, fragte George, während er Hand in Hand mit Aimee dem alten Turm zustrebte. Das nasse Gras streifte an seinen Waden und durchnässte seine Beinkleider. »Wenn Saint James jetzt irgendwas von mir will, wird er ins Leere laufen.«
Die Schäferin lächelte geheimnisvoll. »Das wirst du schon noch erfahren. Und was deinen Hauptmann betrifft, der kann warten. Lass uns zum See gehen.«
Ravencroft schüttelte den Kopf. Was hatte diese wunderbare, temperamentvolle Frau nur vor?
Sie führte ihn zum Ufer des Grünen Sees, wo er sie damals beobachtet und auf seine Arme gehoben hatte.
Erinnerungen stiegen mit dem Nebel aus dem Gras auf. Dem Tod und der Beerdigung der Baronin waren einige Wochen der Unsicherheit und ein eisiger Winter gefolgt. Aimee hatte versucht, George das Geschehene so gut wie möglich vergessen zu lassen, doch gleichzeitig hatte sie gespürt, dass besonders der Freitod Nicoles und der Verrat Henrys dunkle Schatten auf seiner Seele hinterlassen hatten.
Nun, da der Frühling anbrach und mit ihm die Hoffnung auf einen guten Sommer, hatte sie eine Entdeckung gemacht, von der sie glaubte, dass sie diese Schatten ein wenig vertreiben würde.
»Sprich endlich, warum diese Entführung?«, fragte George, während er Aimee auf seinen Schoß hob und begann, mit den roten Strähnen in ihrem Haar zu spielen.
Es war keine weitere hinzugekommen, also drohte ihnen in der nächsten Zeit wohl kein Leid.
»Ich wollte nicht, dass es außer dir jetzt schon jemand erfährt«, entgegnete sie lächelnd und strich ihm zärtlich über die Wangen.
Ravencroft hob verwundert seine Augenbrauen. »Was denn?«
Aimee spannte ihn noch einen Moment lang auf die Folter. Dann küsste sie ihn und antwortete lächelnd. »Dass Mary schon bald einen Bruder oder eine Schwester bekommen wird.«
Der Baron starrte sie mit offenem Mund an. »Wirklich?«
»Ich habe es erst vor kurzem festgestellt, und wie du weißt, irre ich mich in solchen Dingen nicht.«
»Nein, das tust du nicht.«
Einen Moment noch verharrte er sprachlos, dann zog er sie fest in seine Arme. »Das ist ja wunderbar.«
Aimee spürte, wie seine Tränen ihren Hals benetzten und ein Schluchzen durch seinen Leib zog. Es schien, als würde er in diesem Augenblick die langersehnte Befreiung erfahren.
»Aber Mylord, du wirst doch jetzt wohl nicht sentimen-tal«,
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