Fesseln des Herzens
Vermählung unmittelbar nach ihrem Eintreffen vollzogen werden sollte – so als fürchtete der Baron eine weitere Verzögerung.
Nicole war daher genötigt gewesen, ihr Hochzeitsgewand unter freiem Himmel anzulegen. Das war ganz gewiss nicht der rechte Ort dafür, auch wenn ihre Zofen sie durch große Laken vor den Blicken der mitreisenden Soldaten und Pagen geschützt hatten. Außerdem hatte sie ihre Frisur nur notdürftig herrichten können.
Nachdem sie eine Weile darüber gezürnt hatte, hatte sie aber auch etwas Gutes darin erkannt.
Vielleicht überlegt es sich der Baron noch einmal, hatte sie lästerlich gedacht, aber wenn sie ehrlich war, wollte sie das gar nicht mehr. Der Gedanke an die Reichtümer ihres Gemahls hatte sich in ihr festgebissen wie ein Wolfshund, und sie war wild entschlossen, als zukünftige Baronin mehr Reichtum anzuhäufen, als ihre Schwestern besaßen. Auch wenn das bedeutete, dass sie fortan das Lager mit George of Ravencroft teilen musste.
Als die Tür geöffnet wurde und die Pagen Aufstellung nahmen, um den Damen aus der Kutsche zu helfen, blickte Nicole erneut zu der Hochzeitsgesellschaft hinüber. Ihren zukünftigen Gemahl konnte sie nun noch besser erkennen, was allerdings nicht dazu führte, dass sie ihn sympathischer fand.
Wie eine Krähe sieht er aus, dachte sie angewidert. Die Haare tiefschwarz wie ihr Gefieder.
Als sie den Blick jedoch weiterschweifen ließ, bohrte sich ihr plötzlich der Anblick eines anderen Mannes ins Auge.
Er trug über seinem Waffenrock einen feinen dunkelroten Mantel, sein blondes Haar war im Nacken zusammengebunden, und seine linke Hand ruhte auf dem Schwertgriff, bereit, die Klinge jederzeit zu ziehen. Wachsam wie ein Raubvogel spähte er in die Runde.
Sein Anblick schickte eine warme Welle des Begehrens durch Nicoles Körper. Noch nie zuvor war ihr das bei einem Mann passiert. Der Blonde, gewiss der Leibwächter des Barons, verfügte über eine beinahe animalische Schönheit – und war ein gutes Stück jünger als sein Herr.
Dann berührte Celeste sanft den Arm ihrer Herrin und riss sie aus ihrer Faszination fort. Beinahe hätte Nicole sie wütend angefahren, doch da sagte die Kammerfrau: »Mylady, kommt, Euer Vater wartet bereits.«
Tatsächlich stand Daniel Graf de Boisy schon parat, um seine Tochter vor den Altar zu führen.
Nicole seufzte unwillig und ging auf ihn zu.
»Bist du bereit, mein Kind?«, fragte er streng, worauf Nicole nickte. Der Vater reichte ihr seinen Arm, und gemeinsam wandten sie sich dem Kirchenportal zu.
Der Baron war inzwischen an den Altar getreten und erwartete dort seine Braut, während einige Soldaten im Gang neben den Kirchenbänken Aufstellung genommen hatten. Offenbar waren viele Edle aus der Umgebung der Einladung des Grafen gefolgt, denn überall bemerkte Nicole teure Stoffe und Geschmeide.
Neugierige Blicke trafen sie von allen Seiten, und die Braut straffte die Schultern. Auch wenn sie sich auf dem Feld hatte umziehen müssen, ihr Kleid war aus feinstem reinweißem Leinen gefertigt und an den Ärmeln, dem Saum und dem Ausschnitt mit goldenen Borten verziert. Der Schleier war aus Seide gearbeitet, die ihr Großvater von einem Kreuzzug ins Heilige Land mitgebracht hatte, und gab nur das Nötigste ihres Gesichts preis. Ihren Kopf zierte ein Myrtenkranz, den kostbare Perlenstränge zusammenhielten.
Während sie über den steinernen Boden der Kirche schritt, dachte Nicole an ihre Schwestern. Zur Hochzeit hatten sie nicht anreisen können, der Weg aus London und Oxford war viel zu weit. Darüber war sie allerdings nicht traurig, denn gewiss hätten die beiden sie für ihren Bräutigam und ihre neue Heimat verspottet.
Aber ich werde es euch zeigen, dachte Nicole. Während ihr noch immer unter der Knute eures Gatten steht, werde ich bereits allein herrschen und reicher sein als ihr alle zusammen.
Vor dem Altar angekommen, erblickte sie ihren zukünftigen Gemahl zum ersten Mal von nahem. Sein rabenschwarzes Haar war mit silbrigen Fäden durchzogen, die Augen waren dunkel. Von weitem mochte er ein wenig eisig wirken, doch Nicole erkannte sogleich, dass sie, wenn sie es nur richtig anstellte, leichtes Spiel mit ihm haben würde.
Vielleicht war diese Hochzeit doch kein Fehler, ging es ihr durch den Sinn, während sie ein Lächeln aufsetzte.
»Ich grüße Euch, Mylady«, sagte der Baron förmlich und verneigte sich vor ihr. »Willkommen in Ravencroft.«
Nicole machte einen artigen Knicks.
»Gebt gut auf meine
Weitere Kostenlose Bücher