Fesselnde Entscheidung (German Edition)
Hände auf dem Rücken – nur dass er diesmal lediglich die freie Handschelle um ihr rechtes Handgelenk legen musste. Er zog sie unsanft am Arm hoch und schubste sie in Richtung Flur. Erst glaubte sie, dass er sie brutal die Treppe zum Keller herunter stoßen wollte. Stattdessen aber hielt er sie am linken Arm fest und zog sie neben sich her, als er die Treppe hinunter ging. Sie wusste, was ihr blühen würde. Er würde sie wieder ins kalte, dreckige Kellerloch sperren. Blitzartig fiel ihr die rostige Säge ein, die dort immer noch liegen müsste. Sie schluckte und atmete tief durch. Vielleicht hätte sie seinen Zorn doch nicht so unüberlegt auf sich laden sollen. Eine Entscheidung würde also fallen. So oder so. Eher so.
12. Kapitel - Mittwoch, 10.09.
In einem Flanell-Pyjama mit rot-weiß-blauen Karos saß Schulte in sich zusammengesunken an einem antiken Mahagoni-Sekretär im Schlafzimmer seiner Villa. Vor ihm lagen fein säuberlich aufgereiht sechs Geldbündel in grün-gelben Banderolen: 120.000 Euro. Sein Notgroschen, den er immer bei sich zu Hause im Tresor verwahrte. Müde starrte er das Geld an.
Keine Minute hatte er es im Bett ausgehalten. Keine Sekunde hatte er auch nur ein Auge zugemacht. Stattdessen überlegte er angestrengt hin und her, ob es irgendwelche Anzeichen gegeben habe, ob ihm irgendetwas in der Vergangenheit komisch vorgekommen sei. Aber nichts dergleichen fiel ihm ein. Rein gar nichts. Immer wieder dachte er an die Verbindung zum Projekt. Wer hatte einen Vorteil durch Elisas Verschwinden und zugleich eventuell noch Geldsorgen?
Wie sich die Prioritäten von einem Moment zum nächsten plötzlich verschieben können, sinnierte er. Seit Monaten hatte das Projekt vollkommen seine Gedanken beherrscht - bis gestern Abend. Auf einmal war alles anders. Sein Blick fiel auf ein Foto seiner Tochter rechts von ihm auf dem Sekretär. Es zeigte sie als ´zahnlose Emma` im Alter von ungefähr sieben Jahren, wie sie schelmisch in die Kamera grinste.
Die Sorge um seine Tochter legte sich wie eine zu schwere Last auf seine Schultern und ließ ihn noch mehr in sich zusammensinken. Was müsse sie in diesem Augenblick durchleiden, fragte er sich, wenn sie überhaupt noch am Leben war. Wie ein Strick schnürte sich die Ungewissheit um seinen Hals und nahm ihm die Luft zum Atmen. Reflexartig fasste er an seine Gurgel, stand auf und öffnete weit einen Flügel vom großen Sprossenfenster. Tief sog er die frische Luft in seine Lungen ein. Da unten im weitläufigen Garten hatte sie gespielt. Da unten im Garten hatte seine Frau ihr Todesurteil in Empfang genommen und ihren Finger mit lebensgefährlicher Konsequenz verletzt, dachte er bitter. Da hatte das ganze Unheil, was über die Familie hereingebrochen war vor gut einem Jahr seinen Lauf genommen. Gedankenverloren schüttelte er mit dem Kopf. Nie ihm Leben hatte er damit gerechnet, dass ihm mal so ein Schicksal widerfahren werde. Vom Witwer zum verwaisten Vater? Ein grausamer Gedanke. Er schüttelte sich innerlich.
Unvorstellbar!
Und auf einmal bereute er zutiefst, so wenig Zeit mit seiner Familie verbracht zu haben. Zeit, die niemals mehr zurückkam. Nie wieder. Ein Schatten tiefer Traurigkeit legte sich über sein Gesicht.
*
Nach einer schlaflosen Nacht ließ er sich frühmorgens um sieben Uhr von seiner Hausdame, Frau Schneider, in die Firma fahren. Seine Nervosität und innere Unruhe war ihr scheinbar nicht entgangen. Tausend Fragen standen ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Umso dankbarer war Schulte für ihr ausgeprägtes Taktgefühl, denn sie stellte sie nicht und schwieg stattdessen.
Am Empfang wurde Schulte freundlich vom diensthabenden Wachmann begrüßt. Seinen Namen entnahm er dem Namensschild auf seiner Brust.
»Guten Morgen, Herr Brunn, haben Sie eine Nachricht für mich?«
»Nicht das ich wüsste, Herr Dr. Schulte. Erwarten Sie eine?«
»Bitte schauen Sie mal nach, ob von Herrn Krüger hier irgendwo etwas für mich liegt. Rufen Sie mich dann bitte an.«
»Herr Krüger hat sich heute Morgen krank gemeldet. Er wollte zum Arzt gehen.«
Schulte war wie vor den Kopf gestoßen.
Herr Brunn sah scheinbar die Irritation in Schultes Gesicht und ergänzte: »Herr Krüger ist eigentlich so gut wie nie krank. Muss ihn wirklich ernsthaft erwischt haben.«
Das machte es nicht besser. Schulte ging ohne ein weiteres Wort zu den Fahrstühlen und wusste nicht, was er denken sollte.
In seinem Büro angekommen, öffnete er erst mal die
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