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Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Heidenreich
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der Großabt kniend in Gebeten verbracht hatte, war er von der Jungfrau Maria erleuchtet worden: Gnade im Diesseits war eine Erfindung des Teufels, weil der Mensch auf Gnade nur im Jenseits hoffen durfte. Dieser Eingebung folgend hatte er sein Wappen gestaltet. Auf einem geschwungenen Band unter dem Schild stand zu lesen: Exurge domine et judica causam tuam . Die Bitte aus dem 74. Psalm, »Erhebe dich, Gott, und führe deine Sache«, war auch vor vierhundert Jahren Wahlspruch der Inquisitoren gewesen. Das Wappen des Großabts war in keinem Kirchenpapier oder heraldischen Lexikon zu finden. Irgendwann würde er den grünen gegen einen roten Hut austauschen und die zwölf Quasten gegen dreißig: Dann wäre er nicht länger ein Bischofshut, sondern der eines Kardinals. Und in ihm, Venerandus, würde man die letzte Bastion Gottes erkennen, den Retter des Glaubens in einer fast schon der Hölle zugefallenen Welt. Ein Doppelklick auf die unterste der linken Quasten öffnete, wiederum gesichert durch ein Passwort, »fugite«, ein Textdokument, betitelt: »Confessiones abbatis Petri peccatoris« . Die mit Datum versehenen Einträge seines Tagebuchs hatte er nicht als Verehrungswürdiger, als »venerandus« verfasst, sondern als »peccator«, als Sünder. Jeder der Einträge begann mit den Worten: »Heilige Mutter Gottes, confiteor«. Der Großabt schrieb:
    Heilige Mutter Gottes, confiteor. Ich bekenne, dass in meinem Auftrag Blut vergossen wurde. Bruder Ranuccio ist nach gewisser Zeit, in der er seine Spur verwischen musste, aus Frankreich zurückgekehrt. Jene arme Seele dort hat er nicht aus Gründen des Irrglaubens oder der Blasphemie in Deine Hände geben müssen. Aber sie hätte unsere Sache, die ja die Deine ist, verraten können, und es war schwer, abzuwägen zwischen dem gerechten Kampf gegen die Schlange und dem Leben der kleinen Lehrerin. Ich habe mich lange geprüft. Du siehst in mein Herz. Du allein kennst die tiefen Zweifel, die mich zerreißen. Aus Liebe zu Dir habe ich den Entschluss gefasst, Dein Werk zu retten und jenes unbedeutende Leben der Ewigkeit zu übergeben. Denn ich sah: Die Zweifel hatte Satan in mein Herz gesenkt! Er flüsterte mir ein: Du willst eine unschuldige Frau opfern? Du wirst ewiger Verdammnis anheimfallen! Beinahe wäre ich ihm unterlegen. Da sah ich im Traum, dass mein Haus brannte, ich rannte hinaus, erwachte und wusste, was die Botschaft war: der brennende Dornbusch. Gott selbst hatte sich mir offenbart, mich bestärkt, nicht nachzulassen in meinem Kampf. So hat er die Schlange aus meiner Seele vertrieben, den Zweifel ausgetilgt.
    Und am Morgen gab ich Ranuccio den Auftrag, den Fehler auszumerzen, den Bruder Domingo bei der Hinrichtung des Satanspfarrers Lucius Mawhiney in Edinburgh begangen hatte. Nun bitte ich Dich, auch Domingo zu verzeihen und ihn seinen Weg zu uns zurück finden zu lassen. In Ranuccios Seele aber lodert die Qual. Als er in Brünn eine Schänderin Deines Namens unserem einstimmigen Urteil gemäß ihrem inneren Scheiterhaufen überantwortet hatte, spielte Luzifer in seinem Traum mit der Toten, für die Ranuccio durch meine Absolution gar keine Schuld mehr trug. Luzifer gaukelte ihm die tanzende Leiche vor, ließ ihn nicht schlafen, die halbe Nacht kniete er neben dem Bett und betete, und wenn er in Schlaf fiel, riss die Tote ihm im Traum das Herz aus dem Leib! Ich fürchte um ihn, er ist gehorsam, aber ich habe Angst, dass er zerbricht. Wie soll ich ihm helfen, gebenedeit bist Du, Maria, sag mir, wie soll ich ihm helfen? Ich brauche ihn doch! Er ist Dein Werkzeug, Sancta Maria, mater Dei! Sein ganzes Leben ist Liebe zu Dir! Manchmal fühle ich mich so schwach. Dir zu dienen ist schwer. Nein! Dir zu dienen ist selige Wonne! Jetzt muss ich entscheiden, ob jener, den wir unter all den Gottesschändern als nächsten Feind gefunden haben, unserer Macht überantwortet wird. Du weißt es: Jener Jude Abraham Darton fordert seit Monaten, das ungeborene Leben uneingeschränkt für Experimente zu benutzen, er ist besessen vom Teufel des Fortschritts, er blendet die Menschen mit der Hoffnung auf Heilung ihrer Leiden, er hat seine Scharen um sich gesammelt, er will siegen, er ist schlimmer als Herodes! Satan lenkt ihn, und er lenkt die Meinung der Menschen. Müssen wir ihn nicht daran hindern? Und wenn wir es nicht tun, wer soll es sonst tun? Es gibt keinen mehr außer uns, der den wahren Glauben verteidigt! Den Glauben an Dich! Gib mir, Mutter, ein Zeichen!
    Petrus peccator
    Er

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