Fest der Fliegen
Bridge, am Roman Bath und im Royal Victoria Park verkommen. Sein Leben lag schon in den Händen des Bösen, als zwei Brüder der Engelslegion ihn aufgriffen. Volltrunken strich er damals um die Bath Abbey herum und wagte nicht, die Kathedrale zu betreten, wo »Erde und Himmel sich treffen«, wie es in der Stadt hieß. Die Legionäre führten ihn fort von der reformierten Kirche und brachten ihn in ihr Haus. Dort fand er vor ihrem Marienaltar zu seinem neuen Leben. Seit Jahren war Salviati nun einer der engsten Vertrauten von Petrus Venerandus. Manche Brüder nannten ihn mit sanftem Spott den Prior aquarii , ohne zu ahnen, dass er tatsächlich der Hirte der Kegelschnecken war. Er melkte sie. Keiner außer ihm wusste, wie man ihnen mit einem Köder die tödlichen Giftpfeile entlockt, sie auffängt und entleert, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Noch jedes seiner Opfer, dessen Sühnetod die Menschheit wieder ein Stück näher zu Gott gebracht hatte, war, nach innerem Autodafé, dem ersten ärztlichen Urteil zufolge an Herzversagen gestorben. Wenn Salviati den unterschiedlichen Schnecken ihre Giftpfeile entlockte, musste er lächeln bei der Vorstellung, dass bald ein Herz, das in diesem Gift verglühte, danach im Fegefeuer sehnsüchtig auf seine Heimkehr zu Maria am Jüngsten Tage warten würde. Denn sie vergaß kein Herz, das für sie brannte, und wenn die Zeit kam, würde sie auch diese Sünder weinend an ihr eigenes flammendes Herz erheben, hinauf in ihre unendliche Liebe.
Jetzt schlief Salviati in seinem spartanisch eingerichteten Zimmer im Souterrain des Hauses. Er verabscheute Luxus, verabreichte sich Abend für Abend sieben Peitschenhiebe und streckte seinen geschundenen Rücken auf einem Holzbrett aus, auf dem eine dünne Matratze und ein Laken seine Schmerzen kaum milderten. In seiner süßen Qual war er glücklich und dachte sich im Halbschlaf zum gegeißelten Jesus hinüber.
Der Großabt beendete sein stummes Gebet, bekreuzigte sich und verließ das Zimmer. Er musste den Himmel über sich sehen. In der Nacht vor dem Haus nahm er den Rosenduft wahr. Die Hunde schlugen kurz an, näherten sich ihm demütig, er strich ihnen übers Fell und sie verschwanden wieder in der Nacht. Petrus Venerandus legte den Kopf in den Nacken und starrte nach oben. Wolkenschwärze, ein verschwommener, rötlicher Vollmond, umgeben von einem Nebelkranz. Wenn doch ein Stern! Wenn doch ein Licht! Wenn doch der Ton eines Liedes! Aber der Duft der Rosenhecke! War er nicht stärker geworden? Süßer? Er sah vor sich, wie der seligen Jungfrau von Lourdes am Hochfest der Unbefleckten Empfängnis ein Korb weißer Rosen dargebracht wurde. Und als das Bild vor ihm zu leben begann, trat aus dem Rosenkorb die Muttergottes als weiße Gestalt in die Nacht, schwebte im diffusen Mondlicht über der Rosenhecke neben der Auffahrt, er sank auf die Knie und erhob die Hände zur Anbetung. Maria neigte sich ihm zu, wie um ihn zu küssen, ihr liebliches Gesicht näherte sich dem seinen, ihre Augen hatten einen begehrenden Glanz, aus ihren geöffneten Lippen trat nass schimmernd die Zunge hervor, sie zitterte nach seinem Mund, doch das Antlitz veränderte sich, wechselte seine Züge, war jetzt Ranuccio, und der Großabt sah, wie sich aus den jugendlichen Wangen des Engelslegionärs braune und grüne Beulen aufstülpten, platzten und aus ihrer eitrigen Mitte Dornen wachsen ließen, bis das ganze Gesicht eine ekelhafte, immer noch lächelnde Larve war. Petrus schrie und warf sich auf sein Gesicht ins Gras. Es kühlte seine Tränen. Als er sich erhob, wurde ihm klar, was geschehen war. Er lief ins Haus zurück, hinauf in sein Arbeitszimmer, öffnete im Computer die »Confessiones abbatis Petri peccatoris« und schrieb:
Heilige Mutter G ottes, confiteor. Ich bekenne, dass Satan Gewalt über mich bekam, als ich Dein Bild sah. Er hat es zerstört. Aber ich weiß, dass Du mir erschienen bist, Jungfrau der weißen Rosen! Ich habe Dein Zeichen erkannt. Ich danke Dir, ich zweifle nicht länger, es wird geschehen. Sei mir armem Sünder gnädig!
Er nahm sein Mobiltelefon vom Schreibtisch, wählte die Nummer Konrad von Marburgs und schrieb die Mitteilung: »Exurge!« Mache dich auf. Ohne zu zögern, sandte er die SMS mit einem Tastendruck zum Empfänger. Wenig später erhielt er den Rückruf von Konrad und betete mit ihm am Telefon: »Noctem quietam et finem perfectum concedat nobis Dominus omnipotens. Eine ruhige Nacht und ein gutes Ende gewähre uns der
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