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Fest der Fliegen

Fest der Fliegen

Titel: Fest der Fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Heidenreich
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Gesichter der Mörder. Und der Opfer. Malen Sie die Gesichter, die Sie vergessen haben. Das kommt Ihnen paradox vor, nein?« »Nein«, hatte der Klient geantwortet. Und Dr. Sallwey hatte gelächelt, mit einem Ausdruck listiger Zufriedenheit, der Swoboda empörte. Seine gescheiterte Ehe fiel ihm ein. Maria hatte immer so getan, als wüsste sie über seine Gefühle besser Bescheid als er selbst.
    Die Küste der Normandie. Ihre im Dunst verschwimmenden Kreidefelsen, die Monet und Turner gemalt hatten, die Steintore, die vor Étretat ins Meer ausgriffen. Les Falaises. Das rostige Gelb der Steilwände in den Buchten von Les Grandes Dalles und Les Petites Dalles, riesige Hände, die das Land zur Abwehr der Sturmfluten gegen den Horizont hielt. Lichter Ocker, Siena natur, Neapelgelb dunkel, Englischrot, und oben, wo die Wiesen bis an die Kante reichten, all die vermengten Grüns, Permanentgrün, Grüne Erde, Chromoxidgrün stumpf, im hellen Meereslicht auch Chromoxidgrün feurig und Kadmiumgrün hell. Er hatte die Ölfarben nicht mitgenommen. Aquarelle, ein paar Kreidezeichnungen. Mehr war in den letzten Tagen nicht entstanden. Die Farben des Meers machten ihm zu schaffen. Es wechselte ständig die Tönung seiner Haut, mit keinem Russischgrün oder Preußischblau oder Ultramarin kam man ihm bei. Sein Geheimnis schien nicht im Spektrum der Farben zu liegen, sondern zwischen Tiefe und Schaum. Wenn es von der Sonne berührt wurde, blendete es zurück, als gäbe es ein Echo des Lichts. Dieses Echo erzeugte in ihm ein weiteres Echo und machte ihm klar, dass er sich betrog: Er war nicht wegen der Impressionisten von zu Hause weggefahren. Er war gefahren, weil Martina ihn angefleht hatte, den Rat der Therapeutin zu befolgen und zu verreisen. »Du erträgst mich nicht mehr«, hatte er gesagt. Sie hatte geschwiegen. Sie hätte wenigstens sagen können: »Vielleicht.«
    In Fécamp hatte er die Ausfallstraße nach Valmont verpasst, er hätte Richtung Bolbec fahren müssen. So aber geriet er nach den Serpentinen, die sich aus der Hafenbucht zum Kreideland hinaufwanden, auf die D925 nach Cany. Ihm fiel ein, dass er die Karte im Hotelzimmer liegen gelassen hatte. Die Landstraße stieß schnurgerade zwischen Kuhweiden und Feldern nach Nordosten. In der Ebene rechts der Straße lagen fern kleine Dörfer, erkennbar an den Silhouetten ihrer gotischen Kirchtürme vor dem gleißenden Licht des Himmels. Links, hinter den Äckern, die an die Wiesen grenzten, musste das Meer sein. Die Äcker waren nach der Ernte frisch gepflügt, fette Schollen glänzten unter der Mittagssonne. Gebrannte Siena dunkel und zwei Teile Vandyckbraun, dachte Swoboda, dem Glanz auf ihnen müsste man die Himmelsfarbe beimischen. Er ahnte, dass Valmont rechts von der Straße lag, und als er an einer Kreuzung den Wegweiser nach Therouldeville sah, bog er ab. An der Ecke war eine Gärtnerei, die ihre letzten Rosenstöcke mit rostfleckigen Blättern als Sonderangebot an der Straße offerierte. Er merkte sie sich für den Fall, dass er sich verfahren würde und wieder nach Fécamp zurückfinden müsste. Sein Gefühl hatte ihn richtig geführt: Nach etwa drei Kilometern senkte sich die Straße in den Schatten eines kleinen Waldes, rechter Hand ein paar Villen mit Gärten. Mannshohe Rhododendronbüsche. Er hätte sie gern in Blüte gesehen und sich für seine Palette die entsprechenden Mischungen ausgedacht, doch jetzt, Anfang September, gab es nur noch die blassblauen, schneeweißen, weinroten und lila Hortensien, die direkt neben der Böschung wuchsen: Kobalt und Ultramarin zu gleichen Teilen, Krapplack dunkel, zehnfach Kremserweiß und viel Verdünnungsmittel »schnell trocknend« – die Ölfarben tauchten von selbst vor ihm auf. Kopfbilder. Vielleicht würde er sie irgendwann auf die Leinwand bringen. Der Ort fing hässlich an wie die meisten normannischen Kleinstädte, um deren alten Kern sich die neue Zeit angesiedelt hatte: eine Tankstelle, Container für Glas, Papier und Plastikflaschen, ein Supermarkt, ein Parkplatz mit Gebrauchtwagen, ein Lagerhaus für Dünger und Pflanzengifte. Swobodas Malerauge registrierte Rost, Mauersprünge, Blechbeulen, abgeblätterten Lack, kleine Risse im Asphalt. Alles von der Patina der Lustlosigkeit überzogen. Wo linker Hand die Rue Jules Crochemore anstieg und das alte Dorf begann, das zum Schloss der Grafen Valmont gehört hatte, waren die Dächer mit Schiefer gedeckt, der in der Sonne glimmte, und die Straßenseite der Häuser sah

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