Fest der Fliegen
mir, ob er noch in der Kirche war und mit dem Pfarrer gesprochen hat! Ich flehe Dich an, allheilende Muttergottes, reiße ihn aus den Fängen des Bösen, das seine Seele hinabziehen will in die ewige Verdammnis! Miserere nostri, Mater gloriosa, miserere nostri! Bruder Domingo ist zurück. Sage mir: War er der Legion treu? Was hat er getan all die Monate? Ist er zur Polizei gegangen?
Hat er ein Geständnis abgelegt? Hat man ihm gesagt, er solle zurückkehren und uns ausforschen? Ich möchte ihm gern vertrauen, aber unser Kampf für Dich, Gebenedeite, ist zu wichtig, als dass ich riskieren dürfte, den heidnischen Gesetzen überantwortet zu werden. Warum misstraue ich ihm? Soll er eine Chance haben? In Deinem Namen? Er ist vom Alkohol besessen, vielleicht weiß er selbst nicht, was er alles im Zustand völliger Trunkenheit geredet hat und wem gegenüber und wann … Aber wenn er ein Judas ist? Kann ich, muss ich ihn nicht in Deine Hände geben? Ich bete zu Dir wie der heilige Grignon von Monfort. Wie er sehne ich mich nach Männern, die immer für Dich zur Verfügung stehen, immer bereit, Dir zu gehorchen! Immer lauschend auf die Stimme ihres Abtes, zu dem Du mich gemacht hast, immer bereit, hinzugehen und alles mit Dir und für Dich zu leiden, wie die Apostel: Eamus et nos, ut moriamur cum eo. Um Deiner wahren Kinder willen, heilige Maria, bitte ich Dich, die von Dir in Liebe empfangen und in Deinem Schoße getragen, geboren und an Deiner Brust ruhend, von Deiner Milch genährt und durch Deine Sorge großgezogen, von Deiner Hand gestützt und mit Deinen Gnaden bereichert sind! Doch ein schwarzes Schaf in Deiner Herde kann alles zunichte machen und dem Satan den Sieg über die Legion Deiner Engel gewähren! Sage mir, was ich tun soll mit Domingo! Muss ich ihn töten? Er ist kein Ketzer, ich kann ihm nicht die Erlösung durch den Scheiterhaufen gewähren. Soll ich Carafa befehlen, ihn in Deinem Namen zu töten? Du schweigst. Was meint Dein Schweigen? Du widersprichst meinen Fragen nicht? Du hältst sie für berechtigt, nicht wahr? Ja. Dein Schweigen heißt, dass Du verstehst, dass ich etwas tun muss. Aber was ist es? Ich flehe Dich an, Ewige, Heilige, lass mich etwas sehen, lass diese Schrift verlöschen, wenn ich Domingo opfern soll. Lass Dein gnadenvolles Herz erscheinen mitten in meinem Gebet. Du tust es nicht. Ich schreibe weiter, und Du greifst nicht ein. Jetzt schreibe ich: Domingo soll sterben. Lösch den Satz, wenn er falsch ist! Du hinderst mich nicht? Oder heißt das, ich soll mir Zeit lasse? Ich soll ihn befragen, vor das Tribunal bringen? Aber er wird lügen. Jeder Alkoholiker lügt. Der Dämon in ihm lügt. Wie soll ich seine Lügen nachprüfen? Ich verstehe Dein Schweigen so, dass ich etzt mit dem Dämon reden soll. Sieh nur, ich habe etzt geschrieben anstelle von jetzt. Willst du mich auf das J aufmerksam machen? J, das heißt Ja. Es muss Ja heißen! Heißt Deine Antwort Ja? Ja! Wieso zweifle ich? Was anderes könntest Du mir mit dem J sagen wollen als JA ! Also werde ich mit dem Dämon in Domingo reden. Ich werde ihn zwingen. Ich treibe den Dämon aus. Ich danke Dir, dass Du mir das Zeichen gegeben hast, mir, der Dich über alles Leben und allen Tod hinaus liebt und nichts mehr wünscht, als Dir gehorsam zu sein. Das Rituale Romanum also. Fiat misericordia tua, Mater immaculata, super nos, quemadmodum speramus in te.
Petrus peccator
Vor den Fenstern des Ateliers blich die Nacht aus. Noch war keine Spur rötlichen Lichts in der Farbe des Himmels, als Swoboda eines der vier winzigen Ostfenster öffnete, die tief in die Scharten der Burgmauer eingesetzt waren. Er atmete tief, die Morgenluft war bleich und feucht, sie kühlte seine Augen. Vögel zwitscherten. Langsam kam er zu sich, nach dem Stundenrausch der Nacht, in dem er zwei Bilder gemalt hatte, zwei Porträts, die aus seiner Erinnerung aufgestiegen waren wie Luftblasen durch Wasser, aus einer unbekannten Tiefe leuchteten die Gesichter plötzlich in ihm, das Gedächtnis hatte sie freigegeben und sie trieben an der Oberfläche der Gegenwart. Martina lag unter einer Wolldecke auf dem Sofa und schlief. Sie hatten mitten in der Nacht Brot und Käse gegessen, eiskalten Weißwein getrunken, dann hatte sie gefragt, ob sie hier bei ihm im Atelier bleiben könne, oder ob er lieber hätte, wenn sie hinüber ins Schlafzimmer ginge. »Oder hörst du jetzt auf?« »Nein, ich glaube, ich werde noch ein zweites Bild anfangen, hab so das Gefühl, es wird, es muss
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