Feuchte Ernte. Zwölf schwule Herbstgeschichten.
bitte!«, drängte Ronny. »Es ist gleich so weit!«
Der andere reagierte nicht. »Ich kann nicht Ihretwegen bei Rot über die Ampeln rasen«, gab er knurrig zurück. Endlich fuhr er wieder an.
Ronny seufzte. Dieser Kerl nervte ihn mächtig. In fünf Minuten sollte das Flugzeug aus Wien mit Herbert an Bord landen, und er, Ronny, steckte noch mitten im Verkehrsstau, war diesem Sadisten von Taxifahrer ausgeliefert. Um die Zeit irgendwie zu überbrücken, stellte Ronny sich den – zweifellos gut aussehenden – Typen als Folterknecht mit Peitsche vor, bekleidet nur mit einem Lederharnisch. Dann sah er wieder Herberts Gesicht im Geiste vor sich, mit dieser typischen, senkrechten Ärgerfalte auf der Stirn. Herbert würde ziemlich sauer sein, wenn Ronny ihn nicht vom Flughafen abholte, denn der Banker Herbert hasste Unpünktlichkeit. Bei ihm musste alles genau nach Plan ablaufen. Seit einem halben Jahr waren sie ein Paar, auch wenn Ronny immer noch nicht seine eigene, kleine Wohnung aufgegeben hatte. Ein unbestimmtes Gefühl hielt ihn davon ab, sein studentisches, etwas chaotisches Single-Leben ganz und gar zu begraben. Obwohl er Herbert treu blieb, und sogar gerne, das war gar nicht der Grund für Ronnys Zögern.
»Gibt es denn keine Abkürzung zum Flughafen?«, fragte er ungeduldig.
»Abkürzung?« Der Taxifahrer schnaufte. »Hier gibt’s weit und breit nur die eine Brücke, und über die müssen wir alle drüber. Ich hab ja kein Amphibienfahrzeug!«
Entnervt starrte Ronny durch das Seitenfenster auf die verstopfte Straße, auf all die glänzenden Autos, die wie blecherne Ölsardinen in einer Riesendose zusammengedrängt waren. Sein Blick schweifte zurück ins Autoinnere. Das Taxameter lief erbarmungslos, der Preis kletterte und kletterte. Auch das noch! Daneben steckte die Adressplakette des Fahrers – Daniel hieß er.
Ronny betrachtete Daniel von hinten. Was sollte er sonst auch tun? Braunes Haar kringelte sich im Nacken über dem hellen Hemdkragen. Ronny mochte braunes Haar. Herbert hatte auch braunes Haar, aber sehr kurz geschnitten. Ronny war dunkelblond und hatte graue Augen. Er fand sich nicht besonders, aber Herbert hatte ihm zu Anfang, als sie sich kennengelernt hatte, Komplimente über sein Aussehen gemacht.
Komisch, dass ein Taxifahrer ein weißes Hemd und ein Jackett trägt, dachte Ronny. Fast wie Herbert, der stets im Jackett herumlief, sogar zu Hause. Ronny mochte Männer in Anzügen, aber nicht immer und ständig, Jeans mochte er genauso. Daniel trug beides gleichzeitig – Jeans und Jackett. Seine kräftigen, trotzdem nicht zu breiten Hände hielten lässig das Lenkrad. Daniels Miene jedoch erschien angespannt, er fuhr sehr konzentriert. Wenn Ronny gerecht war, musste er zugeben, dass Daniel sich viel Mühe gab, damit sein Fahrgast noch pünktlich zum Flughafen käme. Daniels dunkle Brauen waren etwas zusammengezogen. Die regennasse Straße spiegelte das Leuchten der Abenddämmerung und der zahlreichen Autoscheinwerfer wider. Schlaglichtartig wurde manchmal Daniels Gesicht angestrahlt. Daniel schien nur wenig älter zu sein als Ronny selbst, vielleicht dreiundzwanzig. Ein bisschen Bartschatten, lange Wimpern, eine große, ganz leicht gebogene Nase. Besonders schön war der kräftige Mund mit den vollen, roten Lippen. Ronny konnte all das nur sehen, wenn Daniel zur Seite blickte. Plötzlich ertappte er sich dabei, dass er hoffte, Daniel würde sich zu ihm umdrehen und ihn direkt ansehen. Hatte er braune Augen?
»Flughafen!«, knurrte Daniel auf einmal.
Tatsächlich hatte Ronny nun gar nicht mehr mitbekommen, dass sie am Ziel waren. Wie lange hatte er Daniel schon angestarrt?
»Könnten Sie da auf dem Parkplatz warten?«, fragte Ronny und bezahlte rasch. »Ich hole nur meinen Freund ab, die Maschine ist sicherlich schon gelandet. Es dauert nicht lange.«
Der andere sah ihn an. Sein Blick schien sich an Ronnys Augen festzuhaken. Er hatte braune Augen! »Warten? Und wer bezahlt das?«
»Bitte!«, sagte Ronny nur. Warum hatte er das vorgeschlagen? Am Taxistand langweilten sich ganze Heerscharen von unbeschäftigten Fahrern. Und nachher, mit Herbert zusammen, würde er sowieso nicht mehr dazu kommen, Daniels Gesicht zu betrachten … Ronny wollte nicht darüber nachdenken. Er sprintete in die große Halle des Flughafengebäudes.
Natürlich stand Herberts Flieger schon am Flugsteig. Die ersten Passagiere strömten gerade aus dem engen Gang zu den Gepäckförderbändern. Seltsam aufgeregt suchte
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