Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
Ich glaube, die haben mir extra wehgetan bei der Operation.
Vor ein paar Jahren war ich schon mal in diesem Krankenhaus. Mit der besten Lügenschauspielleistung meines Lebens. Ich stand fünf in Französisch. Und am nächsten Tag sollte eine Französischarbeit sein. Ich hatte nicht gelernt und war auch länger nicht im Unterricht gewesen. Bei der letzten Klausur hatte ich schon krankgemacht. Da hatte ich Mama Kopfschmerzen vorgespielt, damit ich eine Entschuldigung geschrieben bekomme. Aber diesmal sollte was Überzeugenderes her. Ich wollte nur Zeit zum Lernen gewinnen.
Entschuldigtes Fehlen heißt, man kann später nachschreiben. Also fange ich morgens an, Mama zu erzählen, dass es mich links unten im Bauch zwickt. Und immer schlimmer wird. Mama ist direkt beunruhigt, weil sie weiß, dass es links unten zwickt, wenn man Blinddarmentzündung hat. Obwohl der Blinddarm rechts ist. Ich weiß das auch. Und fange an, mich zu krümmen vor Schmerz. Sie fährt mich sofort zu meinem Kinderarzt. Da gehe ich immer noch hin. Ist näher. Der legt mich auf die Pritsche und drückt mir unten am Bauch rum. Er drückt links, ich schreie und stöhne. Er drückt rechts, ich mach keinen Ton.
»Ganz eindeutig. Eine fortgeschrittene Blinddarmentzündung. Sie müssen Ihre Tochter sofort ins Krankenhaus bringen, keine Zeit, vorher zu Hause vorbeizufahren, um Schlafsachen einzupacken, können Sie später nachliefern. Das Kind muss ins Krankenhaus. Wenn der platzt, ist der ganze Körper vergiftet und das ganze Blut muss gereinigt werden.« Welches Kind, hab ich gedacht.
Ab ins Krankenhaus. Dieses hier. Dort angekommen, ziehe ich die gleiche Show ab. Links, rechts, richtige Reaktion. Wie ein Drückspiel. Notoperation. Die schneiden mich auf und sehen einen überhaupt nicht geschwollenen oder entzündeten Blinddarm. Nehmen ihn aber trotzdem raus. Braucht man ja nicht. Und wenn die einen wieder zunähen und den drin lassen würden, käme man vielleicht bald mit einer echten Entzündung wieder. Doppelter Nerv. Das haben die mir aber nicht gesagt nach der Operation. Sondern meiner Mutter.
Als die mich später mal wieder beim Lügen von irgendwas erwischt hat, sagte sie:
»Dir kann man nichts glauben, du hast mich und alle Ärzte angelogen, nur um eine Französischarbeit nicht schreiben zu müssen! Sie haben dir den nicht entzündeten Blinddarm rausgenommen.«
»Woher weißt du das?«
»Mütter wissen alles. Haben die Ärzte mir auf dem Flur gesagt. So was haben die noch nie erlebt. Jetzt weiß ich, wie du lügen kannst!«
Jetzt weiß ich wenigstens, dass er raus ist. Bevor Mama und ich darüber gesprochen haben, hab ich immer gedacht, die Ärzte müssen ja gesehen haben, dass er nicht entzündet ist, und ihn drin gelassen haben. Darum hatte ich lange Zeit Angst vor einer echten Blinddarmentzündung. Und was erzählt man dann, wenn man angeblich schon mal eine hatte? So war das also. Gut zu wissen. Viele Stunden Sorge im Leben umsonst. Wenn man den Blinddarm gerade rausbekommen hat, tut es ganz lange höllisch weh, zu lachen, zu gehen, zu stehen und fast alles andere auch, weil man das Gefühl hat, die Naht reißt auf. Ich hab mich so gebückt und gestaucht gehalten wie jetzt auch wegen meinem Arsch. Kann es sein, dass die Ärzte sich meinen Namen gemerkt haben? War das damals vielleicht eine kleine Sensation, dass ein Mädchen Operationsschmerzen auf sich nimmt, nur um ihre Lehrerin zu verarschen? Haben die mir deswegen bei dieser Operation jetzt besonders wehgetan – och, abgerutscht –, um mir die Verarschung damals heimzuzahlen? Habe ich Verfolgungswahn wegen den Schmerzen? Wegen den Mitteln? Was ist hier eigentlich los? Es tut so weh. Robin. Bring Tabletten.
Da kommt er! Er gibt mir zwei Tabletten und erzählt irgendwas dazu. Ich kann nicht zuhören, bin zu verkrampft von den Schmerzschüben. Ich schlucke sie beide auf einmal. Die sollen schnell wirken, jetzt. Um mich zu beruhigen, lege ich wieder eine Hand auf meinen Venushügel. Hab ich früher als Kind schon immer gemacht. Nur wusste ich da noch nicht, dass das Venushügel heißt.
Für mich ist das die wichtigste Stelle am ganzen Körper. So schön warm. Auch perfekt auf Handhöhe gelegen. Mein Zentrum. Ich schiebe die Hand in die Unterhose und streichele da ein bisschen rum. So kann ich am besten einschlafen.
Ich rolle mich wie ein Eichhörnchen um meinen Venushügel herum ein, und kurz bevor ich einschlafe, denke ich noch, ich habe eine Kackwurst aus meinem Arsch
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