Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
raushängen. Fühlt sich wirklich genauso an, mit diesem Mullstopfen da hinten. Ich träume, dass ich über ein Riesenfeld spaziere. Ein Pastinakenfeld. Ganz weit entfernt sehe ich einen Mann. Einen Nordic-Walker. Ein nördlicher Geher. Diese Typen mit den Stöcken. Ich denke: Guck mal, Helen, ein Mann mit vier Beinen.
Er kommt näher, und ich sehe, dass er seinen großen Schwanz aus seiner aerodynamischen Sportstretchleggins raushängen hat. Und denke: Ach nee, ein Mann mit fünf Beinen.
Er geht an mir vorbei, und ich gucke ihm hinterher. Zu meiner großen Freude entdecke ich, dass er hinten die Hose runtergezogen hat und eine lange Kackwurst aus seinem Arsch raushängt, noch länger als sein Schwanz. Ich denke: Sechs Beine, wow. Ich wache auf und habe Durst und Schmerz. Meine Venushügelhand wandert einmal hintenrum, um die Wunde zu ertasten. Ich will sehen, was die da gemacht haben. Wie soll ich mir das angucken können? In meine Muschi gucken schaff ich grad noch, wenn ich mich stark verrenke. Aber Arsch schaff ich nicht. Spiegel? Nee, Fotoapparat! Mama soll mir den mitbringen.
Wollte sie nicht eigentlich da sein, wenn ich aufwache? Mailbox.
»Ich bin’s. Wenn du kommst, bringst du bitte unseren Fotoapparat mit? Und könntest du die Kerne aus meinem Zimmer abschütten und vorsichtig in Papier einwickeln, damit die Wurzeln nicht abbrechen? Und die leeren Gläser bitte auch mitbringen. Aber nicht offen reintragen. Hier ist alles außer Schnittblumen verboten, ok? Danke. Bis gleich. Ah, und kannst du noch so dreißig Zahnstocher mitbringen, bitte? Danke.«
Ich züchte Avocadobäume. Das ist neben Ficken mein einziges Hobby. Als Kind habe ich als liebstes Obst oder Gemüse, oder was das ist, Avocados gegessen. Halb aufgeschnitten und in das Loch ein ordentlicher Klecks Majonnaise. Darüber gehört viel scharfes Rosenpaprikapulver. Mit dem großen Kern aus der Frucht habe ich nach dem Essen gespielt. Meine Mutter hat damals immer gesagt, Kinder brauchen kein Spielzeug, eine schimmelige Tomate oder ein Avocadokern tun es auch.
Am Anfang ist der Kern vom Avocadoöl noch ganz glitschig und schleimig. Ich reibe ihn meinen Handrücken und die Arme hoch. Verteile den Schleim überall. Dann muss der Kern trocknen.
Auf der Heizung dauert das nur ein paar Tage. Wenn die Flüssigkeit weggetrocknet ist, fahre ich mit dem weichen, dunkelbraunen Kern über meine Lippen. Die müssen auch trocken sein, dann fühlt es sich so weich an, dass ich das minutenlang mache, mit Augen zu. So wie ich früher in der Sporthalle mit meinen trockenen Lippen am speckigen, weichen Lederbezug vom Bock entlanggefahren bin, bis mich jemand gestört hat. »Helen, was machst du da? Hör auf.«
Oder bis die anderen Kinder mich dafür ausgelacht haben. Dann bewahrt man so was eben für die wenigen Momente auf, in denen man ungestört in der Halle sein darf. Es ist ungefähr so weich wie meine Vanillekipferln, wenn sie grad frisch rasiert sind.
Die dunkelbraune Schale vom Kern muss ab. Dafür stoße ich meinen Daumennagel zwischen Schale und Kern, und die Hülle platzt nach und nach ab. Aber Vorsicht, dass man sich keine Stücke von der Schale unter den Nagel rammt.
Das tut sehr weh und geht auch mit Nadel und Pinzette nur schwer wieder raus. Mit spitzen Gegenständen unter dem Nagel rumzufuhrwerken tut noch mehr weh als das Reinrammen der Schale. Und es gibt hässliche Blutflecken unter dem Nagel. Die Blutflecken bleiben leider auch nicht rot, sondern werden braun. Man braucht ganz viel Geduld, bis das wieder rausgewachsen ist. Der Nagel sieht aus wie die Eisschicht auf einem zugefrorenen See, in der ein schön geformter Ast gefangen ist. Wenn die Schale vom Kern ganz ab ist, kommt seine eigentliche schöne Farbe zum Vorschein. Entweder hellgelb oder manchmal sogar zartrosa.
Dann haue ich einmal feste mit dem Hammer drauf. Nur so fest, dass der Kern nicht zerspringt. Danach lege ich ihn für mehrere Stunden in die Tiefkühltruhe, um ihm Winter vorzuspielen. Wenn lange genug Winter war, stecke ich drei Zahnstocher in ihn rein. Er kommt in ein Glas mit Wasser, und die Zahnstocher halten ihn auf perfekter Höhe aus dem Wasser raus.
So ein Avocadokern sieht aus wie ein Ei. Er hat ein dickes und ein spitzes Ende. Das dickere Ende muss oben aus dem Wasser rausgucken. Ein Drittel oben an der Luft, zwei Drittel müssen unter Wasser sein. So bleibt der Kern mehrere Monate.
Er bildet da im Wasser eine schimmelige Schleimschicht, die auf mich sehr
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