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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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inmitten all der Tanzenden mit den scharfkantigen Silhouetten und eckigen Bewegungen, übersah man sich schon.

    Als der Roman fertig ist, lädt er Alina zu einer Reise ein, und sie wünscht sich Amsterdam, wo sie bislang noch nicht war. Er hingegen ist oft da gewesen in seiner westdeutschen Jugend, der leicht zu bekommenden Joints und der Konzerte im »Paradiso« wegen – und immer wieder vertrieben worden von dem feuchtkalten, das Blut in den Urin drückenden Wind in den engen Ziegelgassen. Meernähe erträgt er nur im Süden. Außerdem stresst ihn die allgegenwärtige Kriminalität, und als er ihr sagt »Vergiss Amsterdam!«, nickt sie zwar traurig, bemerkt aber gleich darauf, dass das ein guter Buchtitel sei. Da küsst er sie und reserviert ein Hotelzimmer an der Prinzengracht.
    Sie ist inzwischen aus dem heruntergekommenen Viertel im Wedding nach Kreuzberg gezogen, an den Südstern. Zufällig wohnen sie jetzt nur noch zwei Straßen voneinander entfernt und gehen in die gleichen Läden und Cafés, was ihr zunächst Probleme bereitet, wie es scheint. Aufdringlich zu sein, befürchtet sie, will aber wohl nur hören, dass Wolf sie nicht aufdringlich findet. Doch der ist eher froh über ihre Nähe, jedenfalls im Augenblick; fünfzehn- bis zwanzigmalhintereinander tippt er jede Seite der Endfassung ab, denn wann immer ihm der kleinste Fehler unterläuft, und sei es ein Komma, ist ihm das ein Indiz dafür, dass etwas mit dem ganzen Text nicht stimmt. Was sich meistens bewahrheitet. Dass diese Arbeitsweise aber auch ein Zeichen dafür ist, dass etwas mit ihm nicht stimmt, darauf kommt er später. Wochenlang schläft er nicht länger als vier Stunden pro Nacht, trinkt kannenweise Kaffee, und vor Nervenanspannung hat er oft das Gefühl, so dünnhäutig zu sein, dass er umfallen würde, wenn ihn eine weggeschnippte Kippe träfe. Doch abends, während des billigen und guten Essens beim Inder oder Türken und dem folgenden Spaziergang am Kanal, freut er sich über Alinas zufriedenes Summen an seiner Seite, und ihr Duft beruhigt ihn, und ihr Lächeln gibt ihm Kraft.
    Seine Unberechenbarkeit in dieser Zeit, das Gewittern in seinem Wesen, die Launen oder gar Gemeinheiten dessen, der von den eigenen Ansprüchen an die Wand gedrückt wird, scheinen sie nicht zu erschüttern. Sie füllt seine Vorräte auf und macht ihm eine warme Milch mit Honig, und während er am Fenster steht und davon nippt, korrigiert sie die jeweils letzten Seiten und findet wie beiläufig Lösungen für Probleme, an denen er fast verzweifelt wäre. Klar sein, sich klar ausdrücken, ohne dem Terror der Eindeutigkeit nachzugeben, das ist sein Ideal in dieser Phase, und gerade weil er es so verbissen anstrebt, gerät ihm manches trüb. »Das ist falsch«, sagt sie einmal und zeigt auf eine Stelle kurz vor dem Schluss. »Feuer brennt nicht! Feuer flackert oder leuchtet oder raucht. Brennen tutwas anderes …« Da fühlt er sich blass werden vor Scham.
    Nun also die Reise, ein Dank. Nachdem er die Korrekturfahnen zur Post gebracht hat, findet er einen Hasen im Gras, ein kleines weißes, vermutlich aus einem Kinderwagen gefallenes Plüschtier. Matt geht er durch den warmen Nachmittag, immer noch mit Tipp-Ex an den Händen und den Rhythmen der letzten Sätze im Kopf. Einen Moment lang denkt er daran, eine Rose zu kaufen, lässt es dann aber. Sie haben geplant, zusammen in Alinas Wohnung zu essen und anschließend mit dem Nachtzug zu fahren, via Hamburg und Bremen. Die Turbulenzen in der DDR nehmen zu, viele Bürger laufen dem zerbröckelnden Staat über die ungarische Grenze nach Österreich davon; der Garten der westdeutschen Botschaft in Prag sieht wie ein Flüchtlingscamp aus, doch die Bahnlinien der Transitstrecke sind in Betrieb. Sie hören Nachrichten und Musik, und während er das Gemüse zerschneidet, führt Alina ihm vor, was sie anziehen will in Amsterdam. Sie hat die Nägel zum ersten Mal rot lackiert, dunkelrot, ein wenig unbeholfen noch. Auch die Schuhe kennt er nicht, Riemchenpumps, deren Spitzen die Zehen nicht ganz bedecken; die zusammengedrückten Zwischenräume erregen ihn wie der Spalt in einem Dekolleté. Die erste gemeinsame Reise scheint ihr mehr zu bedeuten, als ihm klar ist; sie plappert unentwegt, trinkt schon das zweite Glas Wein, und die Wangen glühen, als sie plötzlich von ihm wissen will, was genau er für sie fühlt. Die Hände voller Zwiebelschalen, tritt er auf das Pedal des Abfalleimers. »Bitte?Ich kann dich nicht verstehen«,

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