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Feuer brennt nicht

Feuer brennt nicht

Titel: Feuer brennt nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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beleidigt vor; die schlaffen Wangen zitterten, als sie den Kopf schüttelte. Doch der Ausdruck in den großen, an den Lidrändern entzündeten Augen war wach und klug, und dann schien sie zu erkennen, dass er tatsächlich naiv war, dieser Langhaarige in der Lederjacke, ein Gänseblümchen im klirrend kalten Krieg, und schnalzte wie eine Lehrerin nach der Äußerung eines ewig dummen Schülers. »Hier gibt’s keinen Proust«, sagte sie und wendete sich dem nächsten Kunden zu.
    Doch als er auf die Straße trat und der Rauch seinerZigarette gegen das Schaufenster wehte, sah sie noch einmal auf von ihrer elfenbeinfarbenen Tastatur, neben der schon der Schutzbezug für den Feierabend lag, und die Linien ihres Gesichtes wirkten nun weicher, fast entspannt. Er glaubte, ein mildes Verständnis in ihrem Blick zu erkennen, vielleicht sogar Rührung, und der Hauch eines Lächelns war um ihren traurigen Mund, dessen Rot in den Winkeln schon verblich. Und dann bewegte sie den Kopf gerade so, dass man es für ein Nicken halten konnte, einen heimlichen Gruß.

    »Mein Gott, nun sei doch nicht gleich so verletzt.« Alina schnieft, und er klemmt sich den Hörer zwischen Schulter und Ohr, um den Apfel zu entkernen. Ihre Stimme, die sonst so hell daherkommt, voll Schwung, klingt seltsam matt, wie überschattet von dem Schweigen, mit dem er sich unnahbar gibt. »Ich will doch erst mal gar kein Kind«, fährt sie fort. »Ich weiß schon, wie wichtig dir dein Alleinsein ist. Ich möchte nur hören, ob du es dir einmal vorstellen kannst.«
    Irgendetwas stimmt nicht an seiner Wahrnehmung der Situation. So wie der Biss in einen Sommerapfel klingen kann, als träte man in frischen Schnee, knirschen ihre Worte über den Gedanken, die er ihr unterstellt, und er setzt sich auf die Schreibtischkante und starrt in die rotviolette, von Krähenschwärmen durchzogene Dämmerung. »Vorstellen kann ich mir viel …«, sagt er durch die Zähne, und es hört sich kälter an, als er es meint, will er doch nur Zeit gewinnen. Aber die folgende Stille muss ihr einfach ein »… jedoch nichtmit dir!« ins Ohr flüstern, auch wenn er das natürlich nicht denkt. Andererseits macht er keinen Versuch, das zu korrigieren; er betrachtet seine Silhouette in der schmutzigen Scheibe, die reglosen Züge, die ihn erwachsener aussehen lassen, als er sich fühlt, und schnippt ein paar Büroklammern vom Tisch in den Papierkorb. Da räuspert sich Alina und sagt, sie werde trotzdem nach Amsterdam fahren, notfalls ohne ihn. Dann wartet sie noch einen Moment, in dem er sich das Kabel um den Finger wickelt, und als er nichts erwidert, legt sie auf. Kein Adieu.
    Was, um Himmels willen, ist geschehen? Dass seine Erbitterung bei Licht besehen eine spiegelverkehrte Scham ist – weniger darüber, mit einem panischen Japsen zu reagieren, sobald das Leben ihn direkt angeht, als vielmehr über die Tatsache, dass Alina Zeuge dieser Angst wurde –, mag er sich kaum eingestehen. Seine Feigheit aber noch viel weniger, und während er sich einzureden versucht, seine Magenschmerzen gäben ihm recht (in Wahrheit verdankt er sie den Zwiebeln), zerreißt er ein paar letzte Leidenschaften auf Papier und betrachtet Alinas Foto neben der Schreibmaschine, die wellige Schwarzweißaufnahme mit dem Lichtschimmer auf der Stirn. Obwohl es hell gewesen war in dem Raum, hatte er einen Blitz verwendet.
    Und plötzlich muss er daran denken, dass sie sich manchmal erst schminkt, bevor sie miteinander telefonieren. Dass sie den Sitz eines neuen Kleids nicht vor dem Spiegel, sondern zunächst in seinem Gesichtsausdruck überprüft. Dass sie sich »fliederig« fühlt im Mai, und im Gegensatz zu ihm stets die wirklichpoetischen Dinge wahrnimmt, die pelzige Unterseite eines Blattes, den Teegeruch mancher Pferde auf den Reitwegen im Wald, den Blick auf die Armbanduhr mit einer Hostie im Mund. Und als er sich daran erinnert, dass einer ihrer Träume ein Zimmer nur für schöne Stühle ist und sie noch bis zu ihrem letzten Geburtstag geglaubt hat, das Geräusch im Innern einer Muschel sei irgendwie konserviertes Meeresrauschen und das Wort Portemonnaie leite sich von port de monnaie ab, Hafen des Geldes, schnürt ihm Reue die Kehle zu, und er sucht nach dem Kursbuch und blättert es durch. Dabei zittern seine Finger.
    Alles veraltet, längst von gestern, und jetzt kann ihm nur noch Unmögliches helfen: Er muss hinter die Gegenwart zurück, hinter die Schuld, den Schmerz und die Tränen und ruft die Auskunft an

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