Feuer der Götter: Roman (German Edition)
erzählte das Mädchen weiter, und Naave verbot es sich, weiter an Royia zu denken. »Muhuatl ist wie eine Zecke, die sich im Stamm festgebissen hat. Er hält Gefahren ab, ja, und wenn ihm ein Affe vor die Hütte hüpft, erlegt er ihn auch. Aber sonst tut er nichts, außer saufen. Pemzic würde ihn gerne vertreiben, wenn er es könnte. Aber Pemzic ist zu schwach, und Muhuatl zu stark. Wir waren einmal ein Stamm mit eigenem Willen, aber jetzt sind wir alle nur noch Diener Muhuatls. Wenn sich Pemzic mal wieder zu sehr darüber ärgert, lädt Muhuatl ihn zu einem Trinkgelage ein, und dann sind sie wieder für ein paar Tage Freunde. Aber eigentlich sähe Pemzic ihn lieber tot.«
»Dann muss er wohl warten, bis sich Muhuatl totsäuft. Aber die Erwählten leben länger als gewöhnliche Menschen, oder?«
Xinaie hob die Schultern. »Keine Ahnung. Auf dem Berg sicherlich. Aber hier unten? Muhuatl hat nie etwas darüber gesagt.«
Royia auch nicht. Vielleicht wussten die Erwählten es nicht. Weil bisher jeder auf den Berg gegangen war. Unwillkürlich stellte sich Naave vor, wie es für eine Menschenfrau sein müsste, würde ihr Mann nicht altern. Oder nur langsam.
»Lass uns gehen!«, sagte sie brüsk. »Ich mag nicht mehr darüber nachdenken.«
Das Mädchen zuckte zusammen, und Naave tat ihr Ausbruch leid. Warum nur war sie so verwirrt, wenn sie an Royia dachte?
Xinaie löschte die Fackel in einer mit fauligem Wasser gefüllten Senke. Durch den Spalt schoben sie sich zurück in die Hütte. Hier waren drei Frauen damit beschäftigt, Manoqwurzeln zu Brei zu stampfen. Ob daraus Brot oder Rauschtrank werden sollte, ließ sich noch nicht sagen.
Naave ging nach draußen. Die Männer hockten vor ihren Rundhütten und beschäftigten sich mit dem Gerben von Fellen, dem Ausbessern ihrer Waffen und dem Kochen eines Eintopfs, der streng roch. Der Regen war in ein erträgliches Nieseln übergegangen. In der Ferne donnerte es noch. Einige hoben die Köpfe und musterten Naave von oben bis unten. Naave war aus Muhuatls Baumhaus geflohen, weil sie sein Geplapper leid war und sich ein wenig umsehen wollte. Aber es war wohl besser, wieder an Royias Seite zurückzukehren. Wenn sie Glück hatte, war Muhuatl eingeschlafen.
Es war nicht nötig, sich hinauftragen zu lassen; der Stamm bot genug Vorsprünge, Risse und Knoten. Naave ergriff die krummen Hölzer, die die Pfosten des Eingangs bildeten, und zog sich hoch.
Ein anderes Mädchen, ein gedrungenes mit dicken unbedeckten Brüsten, war damit beschäftigt, Muhuatls Schale zu füllen – vielleicht zum hundertsten Mal.
»Die da ist meine dritte Frau.« Seine Stimme war rauh vom Reden und vom Trinken. »Ein bisschen schüchtern, nicht so ein vorlautes Ding wie deine Begleiterin. Die mir übrigens sehr gut gefällt; sie wäre eine Abwechslung. Ich will sie haben. Du bekommst für sie Proviant, Waffen, was wir dir bieten können. Was sagst du dazu? Sicher bist du ihres Mundwerks überdrüssig.«
Royia antwortete etwas, das Naave nicht verstand, da in ihrem Kopf der Ärger rauschte. Und weil auch seine Stimme nicht mehr fest war. Seine Hand machte eine abwehrende Geste. »Im Augenblick ist sie ja ganz artig«, fügte er schwerfällig hinzu.
Muhuatl neigte sich vor, fasste sein vom Rauschtrank fleckiges Hemd am Saum und hob es hoch. Über seine massige, behaarte Brust zog sich das Geflecht einer leuchtend roten Feuerzeichnung.
»Daran würde sie sich nicht stören, oder? Was meinst du? Die ist ein bisschen größer als das, was du im Gesicht hast.«
Das Rauschen wurde zum Tosen, als versinke Naave im Großen Beschützer. Sie sah ihn wieder, sah den Dämon, die Schultern in Flammen, hörte ihre Gedanken – er ist so fett –, hörte das Krachen der Dachbalken, hörte die Mutter schreien, sie solle laufen.
Ihre gefühllosen Finger glitten an den Ästen ab. Sie rutschte den Stamm hinab, schürfte sich die Knie auf und kauerte einen Moment lang benommen auf dem Boden. Xinaie näherte sich, im schmutzigen Gesicht die Frage, was geschehen war. Naave schlug ihre helfende Hand beiseite und taumelte hoch.
Lauf …
Sie tat es.
11.
R oyia wollte die Augen öffnen, doch seine Lider waren dick und schwer. Sein Kopf stand in Flammen. In Flammen! Er musste das Feuer löschen, bevor ihn jemand so sah. Ah, ich schaffe es nicht!
Mit aller Willensanstrengung hob er eine Hand und griff sich ins Haar. Da war kein Feuer. Seine Finger berührten Strähnen, die es bitter nötig hatten, gewaschen zu
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