Feuer der Götter: Roman (German Edition)
und im schlammigen Grund aufgelaufen. Immerhin war sie weit damit gekommen; durch die Büsche sah sie den Fluss im Sonnenlicht schimmern. Sogar die nördlichen Hügelketten, die die bewohnbare Welt vom Kalten Land trennten, konnte sie in der Ferne erkennen. Die Götter waren ihr gewogen, da sie ihr bis hierher geholfen hatten.
Der Junge stieß einen leisen Schrei aus; der Pfeil, den er so sorgfältig angelegt hatte, entglitt seiner Hand. »Wer bist du?«, rief er ängstlich.
Naave hob beschwichtigend die Hand. »Jemand, der Hilfe braucht. Du bist doch sicher nicht allein hier – sind deine Eltern in der Nähe?«
Misstrauisch runzelte er die Stirn; eine steile Falte erschien zwischen seinen Brauen. Er warf sich in die schmale Brust. »Komm mir nicht zu nahe! Natürlich sind sie da. Ich brauche bloß zu rufen, und dann töten sie dich!«
Sie breitete die Arme aus und lächelte. »Schau, ich bin unbewaffnet. Ganz harmlos bin ich.«
Er schien sie einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. »Natürlich«, erklärte er dann. »Du bist ja auch eine Frau.«
»Ich bin eine Fischerin. Dein Vater heißt nicht zufällig Canca?«
Er schüttelte den Kopf.
»Kennst du denn jemanden, der so heißt?«
»Nein.«
Tique sei Dank!, dachte sie. Wer immer diese Leute waren, sie hatten offenbar nichts mit jener Sippe von Düsteren zu tun, die Naave hatten töten wollen. Vielleicht hatte der zähe, alte Canca ja seinen Traum wahr gemacht und war in die Stadt gegangen. »Wie wäre es, wenn du mir deinen Bogen leihst, und ich helfe dir, ein paar Fische zu fangen? Deine Eltern wären sicher stolz auf dich.« Und hoffentlich so dankbar, dass sie mir helfen.
Unablässig bearbeitete er seine Unterlippe, während er erwog, ob sie seines Vertrauens würdig war. Schließlich kam er auf sie zu und reichte ihr den Bogen. »Kannst du so gut schießen wie meine Schwester?«, wollte er wissen.
»Vielleicht? Wo ist sie denn?«
»Tot«, sagte er, und unwillkürlich sah Naave vor ihrem inneren Auge einen weiblichen Körper von der Opferbrücke fallen. »Eine Cijac hat sie gefressen.«
Ein Schatten huschte über sein ungewaschenes Gesicht. Naave wollte sagen, dass es ihr leidtat, doch er zuckte nur die Achseln, als sei nichts weiter dabei, auf diese Art seine Schwester zu verlieren. »Fang mir eine Tepehuano, die mag ich besonders gern.«
»Ich versuch’s«, murmelte sie betroffen. Das Leben dieser Leute war alles andere als leicht, und wer mochte wissen, wie alt dieser Junge werden würde? Sie schenkte ihm ein Lächeln, als er ihr den Pfeil überreichte. Ah, es tat gut, wieder eine halbwegs anständige Jagdwaffe in den Händen zu halten! Und etwas zu tun, das ihr vertraut war. Sie pirschte sich an die Stelle heran, wo die Fische geradezu darauf zu warten schienen, erlegt zu werden. Sogar der Schatten eines fetten Felsentauchers huschte unter der Oberfläche vorbei. Naave spannte halb den Bogen und schloss die Augen, um sich vorzustellen, sie sei auf ihrem Inselchen, bei der verwitterten Steinstatue Tiques. Dann spannte sie ihn vollends und zielte auf den Schatten. Beinahe bedauerte sie, dass der Fisch es ihr so leicht machte.
Als die Abenddämmerung hereinbrach, hatte Naave eine Schlange und drei magere Flussgründler erlegt. Der Felsentaucher hatte sie Stunde um Stunde genarrt, und sie hatte sich wieder erinnert, wie schwer diese Art zu fangen war. Sie band die Fische an den Schwänzen aneinander. »Ich brauche deine Hilfe«, sagte sie zu dem Jungen, der ihr im Laufe des Tages verraten hatte, dass er Yijma hieß. »Du musst die Tepehuano tragen.«
Er freute sich, dass sie ihm die große Schlange aufbürdete. Stolz legte er sich den blaugebänderten Leib um die Schultern. An der Uferböschung entlang gingen sie durch mannshohe Schilfwälder. Der kleine Yijma stapfte zielsicher voran, und nach einiger Zeit hörte Naave die Stimmen mehrerer Männer und Frauen. Der Junge stieß ein Trillern hervor, worauf sie verstummten. Ein Floß aus dicken Schilfrohrbündeln tauchte auf. Es war so groß, dass es eine ganze Hütte, einen Kochplatz und zehn, zwölf Leute beherbergte. Sie alle hielten in ihren Tätigkeiten inne und starrten Naave misstrauisch an.
Naave trat auf das Floß und legte das Fischbündel vor sich. Bevor sie etwas sagen konnte, hob Yijma die Schlange hoch. »Sie ist eine Jägerin!«, rief er. »Sie könnte ein Axot töten!« Er stieß ein Geheul aus und tanzte ausgelassen um die eigene Achse. Eine der Frauen trat vor, neigte sich
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