Feuer der Lust - Page, S: Feuer der Lust
länger konnte sie in dem vollen, überheizten Ballsaal bleiben. Sie musste fliehen.
„Eigentlich hatten Sie gar nicht vor, mich zu treffen, nicht wahr?“
Grace entfernte sich vom Fenster des Arbeitszimmers und drehte sich langsam um.
Lord Wesley stand noch im Rahmen der Tür, die er bereits hinter sich geschlossen hatte. Der Schlüssel, der vorhin noch im Schloss gesteckt hatte, war jetzt verschwunden.
Der Knoten seiner Krawatte war gelöst, und die schneeweißen Stoffstreifen baumelten über seiner schwarzen Frackjacke.
Er ahnte die Wahrheit bereits. Und tatsächlich hatte sie nicht vorgehabt, ihn zu treffen. Sie wusste, sie konnte es nicht – aus zwei Gründen. Erstens wegen der verrückten Augenblicke des Verlangens nach einem Fremden, und zweitens, weil sie keine intime Beziehung mit irgendeinem Mann eingehen konnte, bevor sie seinen Ring trug. Deshalb war sie ins Arbeitszimmer geschlüpft und hatte sich einen Cognac eingeschenkt, um die Enttäuschung über das Wissen, ihn nicht treffen zu können, fortzuspülen. Dennoch versuchte sie zu scherzen. „Es ist erst elf Uhr. Sie können also nicht wissen, ob ich kommen werde.“
„Ich kann es mir denken, Grace.“ Seine Lordschaft schlenderte auf sie zu, stieß dabei mit der Hüfte gegen ein vergoldetes Tischchen und brachte die Kristallgläser darauf zum Klirren. An seinem unsicheren Gang sah sie, dass er getrunken hatte. Aber das hatte sie schließlich auch getan.
„Ich weiß, dass du Angst hast“, erklärte er ihr. „Ich weiß, was du dir wünschst.“ Er strich seine wirren, weißblonden Haare zurück.
„Tatsächlich?“ Der Cognac strömte heiß durch ihren Körper. Sie lehnte sich gegen die Armlehne des Kanapees. „Ich weiß nicht einmal selbst, was ich mir wünsche.“
„Doch, das tust du. Aber du leugnest es, sogar vor dir selber.“
„Ich mochte Sie viel lieber, als Sie noch deutlich gesagt haben, was Sie meinen. Was leugne ich, Mylord?“
Der Blick seiner dunklen Augen – sie schimmerten in einem erstaunlichen Farbton zwischen Violett und Blau – hielt ihren fest. Er sah atemberaubend gut aus. Viel besser als sein Halbbruder, der ungehobelte, verwegene Straßenräuber. „Du leugnest, dass du Leidenschaft willst. Hitze. Feuer. Du willst lüsternes, verschwitztes, leidenschaftliches, sexuelles Vergnügen. Du willst dir die Kleider, das Mieder und die verdammte Schicklichkeit vom Leib reißen. Du willst vögeln, Süße. Und du willst mit mir vögeln.“
Sie war so schockiert, dass ihr die Luft wegblieb. Ein höchst selbstsicheres, unverfrorenes Grinsen umspielte Lord Wesleys sinnliche Lippen.
„Sie sind betrunken.“ Grace stellte ihr Glas ab, während ihr Herz in ihrer Brust herumzuflattern schien wie ein Vogel im Käfig. Er hatte recht. Natürlich hatte er recht. Allein mit seinen Worten sorgte er dafür, dass sie in Flammen stand. „Und Ihre Schwester hat mich gewarnt …“
„Dass ich schon viele Frauen im Bett hatte. Genau wie die meisten anderen Männer hier, die sich in deiner Nähe aufführen wie Eunuchen. Die Männer, die dich behandeln, als wärest du süß und unberührbar. Kannst du dir vorstellen, ein Leben lang mit einem von ihnen verheiratet zu sein?“
„Nein.“ Das war die schlichte Wahrheit.
„Du willst keine Ehe, Grace. Du willst Sex. Du musst die Ehe in Kauf nehmen, um ihn zu bekommen.“
Sie lachte über seine Worte, vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht durch diese Unterhaltung. Hatte sie sich zu weit vorgewagt? Sie konnte schlecht in Ohnmacht fallen oder aus dem Zimmer rennen, nachdem sie ihm gezeigt hatte, wie sie wirklich war. Und es gefiel ihr, wie er mit ihr redete. Echt. Unverblümt. Es war erfrischend. „Aber Sie müssen die Ehe nicht für Sex in Kauf nehmen“, forderte sie ihn heraus. „Was würde Sie dazu bringen, sich in den Hafen der Ehe zu begeben, Mylord?“
„Liebe. Besessenheit.“
„Die Sehnsucht, etwas Kostbares zu besitzen?“
„Vielleicht auch das.“
„Ich habe heute Abend einen Mann gesehen. Pru… Lady Prudence hat mir erzählt, er sei Ihr Halbbruder. Und er habe den Mann ermordet …“
„Pst.“ Er presste ihr seinen Finger auf die Lippen. „Ich habe vor, diese Sache wieder ins Lot zu bringen und sein Blut zu vergießen.“
Lord Wesley ließ sie stehen und eilte zum Schreibtisch. Verblüfft sah sie zu, wie er eine Schublade aufriss. Er nahm eine Messingschatulle heraus, die im Feuerschein glänzte, stellte sie auf die Schreibunterlage und öffnete sie. Als er
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