Feuer der Rache
tiefer über das Bild. Aber das war doch nicht möglich! Und dennoch, jetzt, da sie sie erkannt hatte, konnte sie sich nur wundern, dass sie so blind gewesen war. Sie holte die Fotos heraus, die sie von Iris und ihren Freundinnen hatte. Da, auf dem Schulbild, das die Lehrerin ihr gegeben hatte, lachte ihr eine blond gelockte Maike entgegen. Sie war auf diesem Bild noch etwas jünger und noch eher kindlich, während sie auf dem Foto mit den Jungen schon recht weibliche Formen aufwies. Aber es war das gleiche ebenmäßige Gesicht. Warum war ihr das nicht sofort aufgefallen? Lag es an dem fehlenden Strahlen in ihren blauen Augen oder dem ernsten Zug um ihren Mund?
Es klingelte. Die Kommissarin brummte missmutig. Wer wollte denn jetzt etwas von ihr? Erst beim zweiten Klingeln schob sie den Stuhl zurück und ging zur Tür. Es war Michael, der mit müdem Schritt die Treppe erklomm und dann schwer atmend auf dem Treppenabsatz stehen blieb.
„Wenn du nicht zu mir kommst, dann komme ich eben zu dir", sagte er und rang sich ein Lächeln ab.
„Warum hast du nicht angerufen?", schimpfte sie und führte ihn herein. Mit einem Stöhnen ließ er sich in den Sessel sinken.
„Das hört sich aber gar nicht erfreut an", schmollte er. „Ich habe den Weg unter Einsatz meiner letzten Kräfte hinter mich gebracht!"
Sabine beugte sich vor und küsste ihn leicht auf den Mund. „Unsinn! Natürlich freue ich mich. Aber es war leichsinnig, in deinem Zustand. Was sagt der Arzt?" Sie verschwand in die Küche, um Kaffee zu kochen.
„Der hat mich zwei Stunden in die Mangel genommen", berichtete Michael mit erhobener Stimme über das Gerausch der Kaffeemaschine hinweg, „und mich mit lauter unverständlichem Zeug vollgelabert. Ich sage dir, der weiß auch nicht, was es ist, will es aber nicht zugeben."
Das glaubte ihm Sabine sofort!
„Und, auf was für ein schlimmes Leiden habt ihr euch am Ende geeinigt?", fragte sie mit einem gezwungenen Lächeln, als sie ihm den Becher mit Milchkaffee reichte.
„Alles, was ich verstanden habe, ist, dass ich an Blutarmut leide. Er hat mir ein Eisenpräparat aufgeschrieben. Keine Ahnung, woher das plötzlich kommt. Damit hatte ich noch nie Probleme. Ich dachte, das betrifft nur Frauen."
Sabine hatte nicht nur eine Ahnung, sondern eine ganz präzise Vorstellung, woher diese plötzliche Blutarmut kam, zog es aber vor, Michael auf ein anderes Thema zu bringen. Sie setzte sich auf die Armlehne des Sessels und erzählte von den Gesprächen, die sie, zusammen mit Sönke, geführt hatte.
„Du kannst nicht genug von der Arbeit bekommen", sagte Michael, als sie irgendwann Luft holen musste. „Dann weißt du ja auch sicher schon, dass Reeder ebenfalls an einer hohen Dosis Nikotin gestorben ist."
„Ach, woher weißt du das?"
„Thomas hat mich angerufen, sobald der Bericht der Rechtsmedizin vorlag."
„Und was hat er sonst noch gesagt?", fragte Sabine.
„Sein Gespräch mit dem Herrn Senator war anscheinend etwas eisig. Der Gute ist nicht begeistert darüber, dass man auch sein Umfeld abklopfen will. Er hat natürlich Angst, dass das seinem politischen Ansehen schaden könnte. Und dass Thomas ihn mit dem Erpresserfoto konfrontiert hat, hat ihn natürlich auch nicht fröhlicher gestimmt."
„Wie hat er reagiert?"
Michael zog eine Grimasse. „Das sei alles ganz harmlos gewesen, und außerdem sei die Dame volljährig."
„Es wird sicher nicht einfach, das zu überprüfen."
„Thomas hat Robert darauf angesetzt. Der ist von dem Auftrag total begeistert."
Sabine lächelte. Das konnte sie sich vorstellen.
„Aber nun lass uns nicht weiter über den Fall reden. Ich weiß etwas viel Interessanteres." Er umfing ihre Taille und zog sie zu sich auf seinen Schoß. „Mach die Augen zu!"
Für eine Weile überließ sie sich seinen Händen und Lippen, doch es gelang ihr nicht, ihre Gedanken auzuschalten. Sie musste mit Peter reden, um die Befragung, die wie ein Damoklesschwert über ihm hing, abzubiegen. Sie wollte nach Blankenese fahren und noch einmal mit Maike, Aletta und Carmen sprechen. Sie wollte die Kopien, die sie sich von den Papieren aus Sandemanns Tresor gemacht hatte, noch einmal durcharbeiten. Vielleicht hatte sie einen Hinweis übersehen. Erstaunt bemerkte sie, dass sie Michael noch immer küsste und dass seine Hände unter ihrem T-Shirt verschwunden waren und sich gerade abmühten, ihren BH aufzuhaken. Es war düster im Zimmer geworden. Ihr Blick wanderte zum Fenster. Es dämmerte bereits.
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