Feuer der Rache
wiederkehrenden Anlässe. Seit diesem Maitag vor zehn Jahren jedoch hatte das Wort eine andere Bedeutung für sie bekommen.
Maike schloss die Augen und lehnte erschöpft den Kopf gegen den Fensterrahmen. Sie fühlte die abblätternde Farbe. Er hätte schon vor Jahren frisch gestrichen werden müssen, aber ihr fehlte die Kraft, sich zu solchen Dingen aufzuraffen, und die Großmutter hatte kein Geld, einen Handwerker zu beauftragen.
Wenn das damals nicht passiert wäre, dann hätte ich mein Abitur gemacht, dachte sie, ich hätte studiert und einen Beruf gelernt, mit dem man Geld verdienen kann, und würde nicht bei Burger King für ein paar Kröten schuften. Ganz deutlich roch sie das Frittierfett in ihren Haaren und ihrem T-Shirt. Wenn es sich vermeiden ließ, sah sie schon seit Langem nicht mehr in den Spiegel, aber das brauchte sie auch nicht. Ihr unförmiger Körper und das für viele Menschen abstoßende Äußere waren ihr ständig bewusst.
„Du bist ein hässliches Monster", flüsterte sie in die Nacht.
„Du bist keine Frau, du bist ein stinkender Fettkloß, vor dem alle zurückschrecken."
Wen Gott strafen will, dem gibt er, was er sich wünscht. Hatte sie das nicht gewollt? Hatte sie nicht absichtlich mit der Fresserei angefangen, um diesen gierigen Blicken zu entkommen?
Ja, schon, aber musste sie denn so grässlich werden? Und nun gab es keinen Weg mehr zurück. Oder doch? Hatte sie genug Mut für ein normales Leben in einem normalen Körper? Hatte sie das überhaupt verdient, jetzt, da ihre Schwester zu einem Häufchen Asche verbrannt in ihrem Grab lag?
Es war ihre Aufgabe gewesen, Iris zu schützen! Sie hätte es verhindern können, wenn sie nicht Kopfschmerzen vorgetäuscht hätte und im Bett geblieben wäre! Dann wäre alles ganz anders gekommen. Wenn nur, ach, wenn nur dieser eine Abend anders verlaufen wäre, dann wäre der Stein nicht ins Rollen geraten.
Die Gedanken nahmen ihren üblichen Lauf und wiederholten sich in weiten Schleifen. Eine Folter, die niemals aufhörte.
Ach, wie war sie stolz gewesen! Sie hatte gewählt. Die Königin hatte sich aus dem Dutzend ihrer, Verehrer den würdigsten herausgesucht. Er war nicht der Schönste -das wäre Lorenz gewesen. Aber er war charmant, witzig und großzügig. Und er wohnte in dieser wundervollen weißen Villa an der Eibchaussee, durch die sie in Gedanken immer und immer wieder gewandelt war, ohne dem Schrecken entkommen zu können. Oh, wie blind war sie gewesen!
Sie hatte wohl bemerkt, dass Iris sich veränderte, dass sie stiller wurde und sich zurückzog, doch in ihrer maßlosen Arroganz hatte sie es für Neid gehalten. Ihre Andeutungen über das Böse in dem Jungen, dem sie ihre Gunst gewährte, hatte sie schroff zurückgewiesen und Iris verboten, ihn jemals wieder zu verleumden! Ihre Schwester war ja nur neidisch, dass sie, Maike, schöner war, begehrter und vor ihr einen Freund hatte! Erst Aletta hatte die Zeichen richtig gedeutet. Wie viel Leid hätte sie sich und den anderen erspart, wenn sie die Augen aufgemacht und nachgedacht oder ihrer Schwester nur einmal richtig zugehört hätte.
Ach, Iris, hast du mir je verziehen? Wieder einmal spürte sie tief in sich, dass sie ihr verpfuschtes Leben verdient hatte und selbst an allem schuld war.
Immer tiefer glitt Maike in die Vergangenheit. Es war wie ein Sog. Die Bilder jagten durch ihren Kopf, und sie konnte die Stimmen hören. Dann kamen die Gerüche. Sie konnte den Kampf nur verlieren. Irgendwann wäre sie so erschöpft, dass der Alb die Oberhand gewinnen würde. Warum nicht gleich aufgeben? Wozu sich noch wehren? Sie sank auf dem Boden zusammen und überließ sich ihrem schwarzen Dämon.
Sie ist so aufgeregt! Sie gehen nun zwar schon zwei Wochen miteinander, haben im Kino Händchen gehalten und sich ausgiebig geküsst. Sie ist auch schon zweimal in dem supertollen Haus seiner Eltern gewesen, doch heute Nachmittag, hat er in der Schule angedeutet, werden seine Eltern, sein kleiner Bruder und die Haushälterin weg sein! Er ist schon achtzehn, ein richtiger Mann, und doch zeigt er sich stolz mit Maike, der man ihre vierzehn nicht ansieht. Sie ist die Schönste und Attraktivste der ganzen Schule!
In ihrem Bauch zittert und zwickt es, und sie kann während des Unterrichts keine Minute an das Geschwätz der Lehrer verschwenden.
Was werden sie tun? Sie sieht sich, eng umschlungen mit ihm, auf seinem Bett liegen und ihn küssen. Sie spürt seine Lippen und kann ihn riechen. Wird er ihr an den
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