Feuer der Wildnis - Feehan, C: Feuer der Wildnis - Savage Nature
gesehen hatte.
Wenn ihr Vater betrunken war, redete er oft wirres Zeug, und immer, wenn er seltsame Anspielungen auf Gestaltwandler machte, spitzte sie die Ohren. Sicher gab es so etwas gar nicht, aber manchmal erwähnte ihr Vater beiläufig, dass er sich eigentlich frei bewegen sollte, so wie es seine Bestimmung sei. Dann torkelte er ins Bett und am nächsten Morgen gab es an der Hauswand oder sogar in seinem Zimmer Kratzspuren. Bis Saria wach wurde, war er dann meist schon dabei, das Holz abzuschleifen und frisch zu versiegeln. Wenn sie ihn fragte, woher die Kratzer stammten, gab er ihr keine Antwort.
Und nun hockte sie mitten im Sumpf, die Dunkelheit als einzigen Schutz, in dem Wissen, dass so ein Leopard ein listiges Raubtier war, und nicht aufgeben würde, bis er sie erwischt hätte. Sie konnte nur hoffen, dass er die paar Blitze ihrer Kamera nicht bemerkt hatte und nicht kam, um nachzusehen. Es schien Stunden zu dauern, bis der natürliche Rhythmus des Sumpfes sich wieder einstellte, die Insekten erneut mit dem Summen begannen und jene beruhigenden, wenn auch nicht tröstenden Geräusche erklangen, zum Zeichen, dass das Leben weiterging.
Saria blieb ganz still sitzen und wartete, bis die schreckliche Anspannung nachgelassen hatte. Die Geisterkatze war fort. So viel war sicher. Sofort verließ sie den Schutz des Zypressenhains und fuhr hinüber zu Fenton’s Marsh. Ihr Mund war trocken, ihr Herz klopfte vor lauter Angst vor dem, was sie vorfinden mochte, doch sie konnte es einfach nicht lassen.
Der Tote lag halb im Wasser und halb an Land, gleich am Rande der Marsch. Sie kannte den Mann nicht. Er schien zwischen dreißig und vierzig zu sein, sein lebloser Körper war voller Blut. Er hatte eine Stichwunde im Bauch, doch gestorben war er an einem erstickenden Biss in die Kehle. Die Biss- und Kratzspuren waren deutlich zu erkennen. Das Wasser um ihn herum war blutgetränkt und lockte Insekten und Alligatoren an.
Saria schlug kurz die Hände vor die Augen, denn es machte sie ganz krank, dass sie keine Ahnung hatte, was sie tun sollte. Zur Polizei konnte sie nicht gehen. Remy arbeitete in der Mordkommission. Er war die Polizei. Sollte sie etwa ihre eigenen Brüder anzeigen? Würde man ihr überhaupt glauben? Vielleicht hatte der Tote irgendetwas Furchtbares getan, sodass einer ihrer Brüder keine andere Wahl gehabt hatte.
Langsam fuhr Saria nach Hause, machte beklommen ihr Boot fest und trat auf den Steg. Sie blieb einen Moment stehen und musterte das Anwesen. Die Bar war dunkel, das Haus und der Laden ebenso, aber ihre inneren Sensoren, die sie schon von klein auf wahrnehmen konnte, warnten sie, dass sie nicht allein war. Entschlossen, ihren Brüdern aus dem Wege zu gehen, lief sie um das Haus herum. Als sie gerade die Hintertür öffnen wollte, wurde diese plötzlich aufgerissen und ihr ältester Bruder stand breit im Rahmen, ein attraktiver, dunkelhaariger Mann mit ernsten, aufmerksamen grünen Augen. Vor lauter Schreck trat Saria unwillkürlich einen Schritt zurück. Sie wusste, dass er den Hauch von Angst in ihrem Blick gesehen hatte, ehe sie ihn verbergen konnte.
Remy kniff die Augen zusammen und atmete tief ein, als wollte er ihren Geruch analysieren. Dann schluckte er herunter, was immer ihm auf der Zunge gelegen hatte. Statt barscher Ungeduld lag Besorgnis in seiner Stimme: »Bist du verletzt?« Er streckte die Hand nach ihr aus, um sie ins Haus zu ziehen.
Mit klopfendem Herz wich Saria so weit zurück, dass sie außerhalb seiner Reichweite war. Remy runzelte die Stirn und rief laut: »Mahieu, Dash, kommt doch mal her.« Er sah sie unverwandt an, ohne auch nur einmal zu blinzeln. »Wo bist du gewesen, cher ?« Sein Tonfall verriet, dass er eine Erklärung verlangte.
Er wirkte einfach riesig. Saria schluckte und weigerte sich, sich einschüchtern zu lassen. »Warum willst du das plötzlich wissen? Das hat dich doch sonst nicht interessiert.« Betont lässig zuckte sie die Achseln.
Sie hörte sie nicht kommen – ihre Brüder bewegten sich praktisch ohne jedes Geräusch – , doch mit einem Mal standen Mahieu und Dash Schulter an Schulter hinter Remy. Sie sah, wie die beiden sie musterten und jede Regung ihres zweifellos kreidebleichen Gesichts registrierten.
»Hast du dich mit jemandem getroffen, Saria?«, fragte Remy sanft – viel zu sanft. Da sie eine Bewegung machte, als ob sie davonlaufen wollte, fasste er sie beim Arm und hielt sie ebenso sanft fest.
Seine freundliche Ansprache hätte Saria
Weitere Kostenlose Bücher