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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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von brüderlicher Zärtlichkeit zu dem heimatlosen Weib, das den Jammer ihres ewigen Wanderlebens so heraufbeschwor. Jetzt schien sein Geist, der sich eben so leidenschaftlich der Zukunft entgegengedrängt, mit leisem Schauder sich in die Vergangenheit zurückzuwenden, die die Macht dieser Stimme zur Gegenwart schuf. Er fühlte sich in einem Zustand süßer und phantasievoller Sammlung, wie jene, die am Kaminfeuer Erzählungen vom starren Winter ersinnen, und wie er schon angesichts von Nadianas Klausur den Zauber der Zeit empfunden hatte.
    »Und ein anderes Mal?«
    Sie lächelte; dann verdüsterte sie sich.
    »Ein andermal in Wien, in einem Museum... Ein großer, verödeter Saal, das Prasseln des Regens gegen die Fensterscheiben, unzählige kostbare Reliquienschreine in Glasschränken, Abbilder des Todes überall, verbannte Heiligtümer, nicht mehr verehrt, nicht mehr angebetet ... Wir beugten zusammen die Stirn über einen Glasschrank, der eine Sammlung von heiligen Armen enthielt, deren Metallhände in reglos-starrer Geste zurecht gelegt waren... Hände von Märtyrern, ganz übersät mit Achaten, Amethysten, Topasen, bleichen Türkisen... Durch einige Öffnungen konnte man im Innern die Knochensplitter erblicken. Eine Hand hielt eine goldene Lilie, eine andere eine kleine Stadt, eine dritte eine Säule. Eine war schlanker, mit einem Ring an iedem Finger, die trug ein Gefäß mit Balsam: die Reliquie der Maria Magdalena ... Verbannte Heiligtümer, profan geworden, nicht länger verehrt, nicht länger angebetet ... Ist Sofia fromm? Hat sie die Gewohnheit zu beten?«
    Er antwortete nicht. Er hatte die Empfindung, als dürfe er nicht sprechen, als dürfe er kein wahrnehmbares Zeichen seiner eigenen Existenz geben in dieser Verzauberung fernen Lebens.
    »Zuweilen kam sie in dein Zimmer, während du arbeitetest und legte einen Grashalm auf die angefangene Seite.«
    Die Zauberin erzitterte innerlich. Denn ein verschleiertes Bild entschleierte sich plötzlich und flüsterte ihr andere Worte zu, die unausgesprochen blieben. »Weißt du, daß ich anfing, jenes singende Geschöpf zu lieben, das du unmöglich vergessen haben kannst; weißt du, daß ich anfing, sie im Gedanken an deine Schwester zu lieben? Um in eine reine Seele all die Zärtlichkeit zu ergießen, die mein Herz so gern deiner Schwester geschenkt hätte, von der so viele grausame Dinge mich trennten! Weißt du das?« Diese Worte lebten, aber sie wurden nicht ausgesprochen. Die Stimme jedoch bebte von ihrer stummen Gegenwart.
    »Dann gönntest du dir einige Augenblicke der Ruhe. Du gingst ans Fenster und standest dort mit ihr, um das Meer zu betrachten. Ein Ackerknecht trieb zwei junge vor den Pflug gespannte Ochsen an und pflügte den Sand, um den jungen Tieren beizubringen, gerade Furchen zu ziehen. Du und sie, ihr sahet ihnen Tag für Tag um dieselbe Stunde zu. Als sie ihre Aufgabe begriffen hatten, kamen sie nicht mehr, um den Sand zu pflügen; sie gingen auf den Hügel... Wer hat mir nur alle diese Dinge erzählt?«
    Er selbst hatte sie ihr eines Tages fast mit denselben Worten erzählt; aber nun kehrten ihr diese Erinnerungen gleich plötzlich auftauchenden Visionen zurück.
    »Dann zogen die Herden längs des Meeresufers vorüber; sie kamen vom Berge, und gingen auf die Ebene der Puglia, von einer Weide auf die andere. Der Marsch der wolligen Schafe glich der Bewegung der Wellen; aber das Meer war fast immer ruhig, wenn die Herden mit ihren Hirten vorüberzogen. Alles war ruhig; über die Küsten war goldenes Schweigen gebreitet. Die Hunde liefen an der Seite ihrer Herde; die Hirten stützten sich auf ihren Stab; die Glocken klangen leise in dieser Unermeßlichkeit. Du folgtest dem Zuge mit den Augen bis zum Bergvorsprung. Später gingst du dann mit der Schwester, um die Spuren im nassen Sande zu betrachten, der an manchen Stellen goldgelb und durchlöchert war, wie Honigwaben ... Wer hat mir nur alle diese Dinge erzählt?«
    Fast glückselig hörte er ihr zu. Sein Fieber hatte sich gelegt. Langsamer Friede senkte sich wie ein Halbschlaf über ihn.
    »Dann kamen die Seestürme; das Meer überwand die Düne, stürzte über Buschwerk und Gestrüpp und ließ seine Schaumflocken auf Ginster und Tamariskenstauden, auf Myrte und Rosmarin. Viel Seetang und zahllose Trümmer wurden ans Ufer geworfen. Irgendeine Barke hatte da unten Schiffbruch erlitten. Das Meer brachte den Armen Holz, anderen wieder Trauer! Der Strand bevölkerte sich mit Frauen, Greisen,

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