Feuer (German Edition)
welche Rolle wird sie darin haben?«
»Sie wird blind sein, schon einer andern Welt angehörig, schon halb jenseits des Lebens. Sie wird mehr sehen als die anderen. Den Fuß wird sie im Schatten haben und die Stirn in der ewigen Wahrheit. Die Kontraste der tragischen Stunde sollen im Dunkel ihres Innern widerhallen und sich vervielfältigen, wie Töne in der Tiefe einsamer Felsenhöhlen. Wie Teiresias soll sie alles verstehen, das Erlaubte und das Verbotene, Himmlisches und Irdisches, und sie soll es erfahren, ›wie hart das Wissen ist, wenn das Wissen nutzlos ist‹. Ach, wundervolle Worte möchte ich in ihren Mund legen, und beredtes Stillschweigen, aus dem endlose Schönheiten geboren werden ...«
»Ihre Macht auf der Bühne, ob sie redet oder ob sie schweigt, ist übermenschlich. Sie weckt in unseren Herzen das tiefst verborgene Böse und die geheimste Hoffnung; und durch ihren Zauber wird unsere Vergangenheit zur Gegenwart, und durch die Gewalt ihrer Darstellungen erkennen wir uns wieder in den Schmerzen, die von anderen Geschöpfen zu allen Zeiten gelitten wurden, als ob die von ihr offenbarte Seele unsere eigene wäre.«
Sie blieben auf dem Ponte Savio stehen. Stelio schwieg unter einer Flut von Liebe und von Schwermut, die plötzlich auf ihn eindrang. Er hörte wieder die traurige Stimme: »Ich habe meinen flüchtigen Ruhm nur deshalb geliebt, weil er eines Tages dem Ihren dienstbar werden könnte!« Er hörte wieder seine eigene Stimme: »Ich liebe dich und ich glaube an dich; dir gebe ich mich ganz zu eigen. Du bist meine Genossin. Deine Hand ist stark.« Die Kraft und die Sicherheit dieses Bundes richteten seinen Stolz auf; aber zugleich zitterte im tiefinnersten Grunde seines Herzens ein Sehnen und ein unbestimmtes Ahnen, das, sich langsam verdichtend, schwerlastend wie eine Angst ihn bedrückte.
»Es tut mir leid, daß ich dich heut abend lassen muß, Stelio« – sagte der brüderliche Freund, von derselben Schwermut angesteckt.
»Wenn ich an deiner Seite bin, weitet meine Brust sich, und ich fühle den Pulsschlag meines Lebens sich beschleunigen.«
Stelio schwieg. Der Wind schien nachzulassen. Vereinzelte Stöße rissen die Blätter von den Akazien im Campo di San Giacomo und jagten sie durcheinander. Die braune Kirche und der viereckige Glockenturm aus einfachen Ziegeln standen wie im stummen Gebet gegen den Himmel.
»Kennst du die grüne Säule in San Giacomo dell'Orio?« – fragte Daniele, in der Absicht, den Freund noch einige Augenblicke für sich zu behalten; denn er hatte Angst vor dem Abschied. – »Was für ein wundevoller Marmor! Er sieht aus wie die Versteinerung eines ungeheuren, vorweltlichen, grünenden Waldes. Wenn das Auge seinen unzähligen Geädern folgt, so träumt es sich in Waldesrätsel. Während ich diese Säule betrachte, glaube ich mich im Hercynischen Gebirge, in den Wäldern von Sila.«
Stelio kannte sie. Perdita hatte eines Tages lange an den kostbaren Säulenschaft gelehnt verweilt, um den zauberhaften goldenen Fries oberhalb des Bassanoschen Bildes zu betrachten, der dieses völlig verdunkelt.
»Träumen, immer träumen!« – seufzte er in einem Rückfall jener bitteren Ungeduld, die ihm auf der Helmfahrt vom Lido höhnisch-spottende Worte eingegeben hatte. – »Von Reliquien leben! Denke doch an jenen Dandolo, der gleichzeitig diese Säule und ein Kaiserreich zu Boden warf und der es vorzog, Doge zu bleiben, da er ein Kaiser werden konnte. Der hat wohl mehr als du erlebt, der du durch Wälder irrst, wenn du den von ihm erbeuteten Marmor aufmerksam betrachtest. Leb' wohl, Daniele.«
»Erniedrige nicht dein Geschick.«
»Ich möchte es vergewaltigen.«
»Deine Waffe ist der Gedanke.«
»Oft verzehrt brennender Ehrgeiz meine Gedanken.«
»Du kannst schaffen. Was suchst du noch anderes?«
»Zu anderer Zeit hätte auch ich vielleicht einen Archipel zu erobern vermocht.«
»Was macht's? Eine Melodie wiegt eine Provinz auf. Würdest du nicht für ein neues Bild ein Fürstentum hergeben?«
»Ich möchte das ganze, volle Leben leben, nicht nur ein Gehirn sein.«
»Ein Gehirn enthält die Welt.«
»Ach, du kannst mich nicht verstehen. Du bist ein Asket; du hast deine Begierden überwunden.«
»Und du wirst sie überwinden.«
»Ich weiß nicht, ob ich's wollen werde.«
»Ich bin dessen gewiß.«
»Leb' wohl, Daniele; du bist mein Zeuge. Du bist mir teurer als irgend jemand.«
Sie drückten sich innig die Hände.
»Ich werde beim Palazzo Vendramin
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