Feuer (German Edition)
Radianas Ohren aus dem verschlossenen Garten dringen mußte.
»Leiden Sie durch ihn?« hätte die Greisin die liebende Frau fragen mögen, denn das Schweigen bedrückte sie, und sie erwärmte sich an der Glut dieser schmerzensreichen Seele wie an diesem unzeitgemäßen Sommer. Aber sie wagte es nicht. Ein Seufzer entrang sich ihr. Ihr immer junges Herz klopfte bei dem Anblick der verzweifelten Leidenschaft und der bedrohten Schönheit. ›Ach, Sie sind noch schön, und Ihr Mund lockt noch zu Küssen, und der Mund, der Sie liebt, kann sich noch berauschen an Ihrem bleichen Antlitz und an Ihren Augen!‹ dachte sie, während ihre Augen auf der in Gedanken versunkenen Schauspielerin ruhten, der sich die Novemberrosen entgegenreckten. ›Aber ich bin eine Larve.‹
Sie senkte den Blick und sah auf ihre eigenen entstellten Hände in ihrem Schoße; und sie wunderte sich, daß sie zu ihr gehörten, so verkrüppelt, so tot schienen sie ihr, bejammernswerte Mißbildungen, die nicht berühren konnten, ohne Widerwillen zu erregen, die nichts anderes mehr liebkosen konnten als die verschlafenen Hunde. Sie fühlte die Runzeln in ihrem Gesicht, die falschen Zähne an ihrem Zahnfleisch, die falschen Haare auf ihrem Kopf, die ganze Ruine ihres armen Körpers, der einst der Anmut ihres zarten Geistes entsprochen hatte. Und sie wunderte sich über ihre eigene Ausdauer,gegen die Verheerungen des Alters zu kämpfen, sich selbst zu betrügen, die lächerliche Illusion an jedem Morgen wieder herzustellen, mit all den Wassern, Ölen, Salben, Schminken und Tinkturen. Aber war nicht dennoch in dem immerwährenden Frühlingstraum ihre Jugend gegenwärtig? Hatte sie nicht gestern, noch gestern, mit ihren vollkommenen Händen ein liebes Gesicht gestreichelt, hatte sie nicht den Fuchs und den Hirsch in den schottischen Hochebenen gejagt, mit ihrem Verlobten im Park nach einer Weise John Dowlands getanzt?
›Im Hause der Gräfin Glanegg findet sich kein Spiegel; zu viele im Hause der Lady Myrta!‹ dachte die Foscarina. – ›Jene hat vor den andern und vor sich selbst ihren Verfall verborgen; diese hat sich jeden Morgen altern sehen, hat ihre Runzeln eine nach der andern gezählt; sie hat die toten Haare in ihrem Kamme gesammelt, sie fühlte die Zähne in ihrem blutlosen Zahnfleisch locker werden und wollte durch künstliche Mittel den unwiderbringlichen Schaden ersetzen. Arme, zärtliche Seele, die noch heute entzücken möchte und das Lächeln ins Leben tragen. Sie muß verschwinden, sterben, in die Erde versenkt werden.‹ Sie gewahrte das Veilchensträußchen, das am Saum von Lady Myrtas Kleid mit einer Nadel befestigt war. Zu jeder Jahreszeit trug sie dort unten eine frische Blume in einer Falte, kaum sichtbar, wie ein Sinnbild der täglichen Frühlingsillusion, der immer neuen Selbsttäuschung, die sie an sich beging durch die Erinnerung, durch die Musik, durch alle Künste der Phantasie, gegen die Gebrechlichkeit und die Einsamkeit. ›Man müßte eine Stunde der flammenden Leidenschaft leben und dann für immer verschwinden, in die Erde sinken, bevor jeder Reiz entschwunden, jede Anmut erstorben ist.‹
Sie fühlte die Schönheit ihrer eigenen Augen, die verderbliche Gier ihrer Lippen, die rohe Kraft ihrer vom Sturm gelösten Haare, die ganze Gewalt der Rhythmen und der Leidenschaften, die in ihren Muskeln und in ihren Knochen schlummerten. Sie vernahm wieder die Worte des Freundes, die sie gepriesen hatten; sie sah ihn wieder in der Raserei der Begierde, in der süßen Mattigkeit, in der völligen Hingabe. ›Noch für kurze Zeit, für kurze Zeit noch werde ich ihm gefallen, werde ich ihm schön erscheinen, werde ich ihm das Blut verbrennen. Noch für kurze Zeit!‹ Die Füße im Grase, die Stirn von der Sonne gebadet, umweht vom Duft welkender Rosen, in dem rötlichen Gewand, das ihr etwas von dem prächtigen Raub- und Jagdtier mitteilte, erglühte sie in Leidenschaft und Erwartung, mit einem plötzlichen Lebensungestüm, als strömte jene Zukunft, auf die sie mit der Absicht zu sterben verzichtete, in die Gegenwart über. ›Komm! Komm!‹ Sie rief in ihrem Innern nach dem Geliebten, fast trunken vor Wonne, sie fühlte ihn nahen, und noch niemals hatte sie ihr Vorgefühl betrogen. ›Noch für kurze Zeit!‹ Jeder Augenblick, der verstrich, erschien ihr als unbilliger Raub an ihr. Reglos wünschte und litt sie, in schwindelnder Bangigkeit. Mit ihren Pulsen schien der ganze verwilderte Garten zu schlagen, durchtränkt mit Wärme
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