Feuer (German Edition)
vorbeigehen und Nachrichten einziehen« – sagte der treue Freund.
Diese Worte beschworen das große kranke Herz wieder herauf, die Last des Helden auf ihren Armen, den schauerlichen Kondukt.
»Er hat überwunden; er kann sterben« – sagte Stelio Effrena.
Er betrat das Haus der Foscarina wie ein Geist. Seine innere Aufregung verlieh den Dingen ein verändertes Aussehen. Die durch eine Schiffslaterne erhellte Vorhalle schien ihm riesengroß. Ein in der Nähe der Tür auf dem Pflaster niedergestellter Gondelpelz erschreckte ihn wie der Anblick einer Totenbahre.
»Ach, Stelio!« – rief die Schauspielerin, bei seinem Eintritt aufspringend und ihm leidenschaftlich entgegenstürzend, mit dem ganzen Ungestüm ihres durch die Erwartung gestachelten Wunsches. – »Endlich!«
Sie hielt plötzlich vor ihm inne, ohne ihn zu berühren. Die gewaltsam zurückgedrängte Leidenschaft vibrierte sichtbar in ihrem Körper, von Kopf bis zu Fuß; es schien, als ob sie in ihrer Kehle in einem kurzen Keuchen hörbar würde. Sie war wie der ersterbende Wind.
›Wer hat dich mir genommen?‹ dachte sie, das Herz von Zweifeln bedrängt; denn sie hatte plötzlich ein Etwas in dem Geliebten gefühlt, das ihn ihr entrückte, sie hatte in seinen Augen etwas Fremdes und Fernes entdeckt.
Er aber hatte sie aus dem Schatten herausstürzen sehen, wunderschön, von einer Leidenschaft belebt, nicht unähnlich jener die die Lagunen in Aufruhr versetzt. Der Schrei, die Gebärde, der Sprung, das plötzliche Anhalten, das Vibrieren der Muskeln unter der Tunika, das Erlöschen des Gesichtes, wie einer Glut, die sich in Asche löst, die Intensität des Blickes, die dem Aufblitzen eines Schlachtfeuers glich, der Atem, der die Lippen öffnete, wie die innere Glut die Lippen der Erde spaltet: alle diese Offenbarungen des wahren Menschen bekundeten eine pathetische Lebenskraft, die nur dem Gären elementarer Kräfte, dem Wirken kosmischer Gewalten vergleichbar waren. Der Künstler erkannte in ihr das dionysische Geschöpf, den lebendigen Stoff, der bereit ist, die Rhythmen der Kunst zu empfangen, nach den Gebilden der Poesie gestaltet zu werden. Und wie er sie nun vor sich sah, ewig wechselnd wie die Wellen des Meeres, erschien ihm die blinde Maske, in die er ihr Antlitz bergen wollte, starr, enggebunden die tragische Handlung, durch die sie wehklagend schreiten sollte, zu begrenzt die Gefühle, aus denen ihre Worte hervorströmen sollte, fast leblos die Seele, die sie offenbaren sollte. «,Ach, alles was zittert, weint, hofft, sehnsüchtig strebt, rast in der Unermeßlichkeit des Lebens!« Seine Phantasiegebilde wurden plötzlich von einer Art panischen Schreckens, von einem vernichtenden Entsetzen hinweggefegt. Was konnte sein kleines Werk bedeuten gegenüber der Unermeßlichkeit des Lebens. Äschylos hatte über hundert Tragödien geschrieben, Sophokles noch mehr. Sie hatten eine Welt gestaltet aus den kolossalen Trümmern, die sie mit ihren Titanenarmen aufgerichtet hatten. Ihre Arbeit war umfassend wie eine Kosmogonie. Die Figuren des Äschylos schienen noch heiß vom Brande des Weltenraumes, leuchtend vom Sternenlicht, feucht von der befruchtenden Wolke. Die Gestalt des Ödipus schien aus demselben Felsblock gemeißelt wie der Sonnenmythos; die des Prometheus schien aus demselben primitiven Mechanismus erwachsen, mit dem auf der asiatischen Hochebene der Hirt Arya das Feuer erzeugte. Der Erdgeist schaffte unruhvoll in diesen Schöpfern.
»Verbirg mich, verbirg mich! und frag' mich nichts, und laß mich schweigen!« – bat er, unfähig, seine Qual zu verbergen, den Aufruhr seiner verworrenen Gedanken zu beherrschen.
Das Herz der nichtsahnenden Frau klopfte vor Angst.
»Warum? Was hast du?«
»Ich leide.«
»Was quält dich?«
»Seelenangst, Seelenangst! Das Leiden, das du an mir kennst.«
Sie nahm ihn in ihre Arme. Er fühlte, daß sie zitternd gezweifelt hatte.
»Mein? immer noch mein?« – fragte sie, den Mund an seiner Schulter, halb erstickend.
»Ja, immer dein.«
Ein entsetzlicher Fieberschauer durchschüttelte die Frau jedesmal, wenn sie ihn sich losreißen, jedesmal, wenn sie ihn wiederkommen sah. Sich losreißend, eilte er zur unbekannten Geliebten? Wiederkommend, erschien er, um den letzten Abschied von ihr zu nehmen?
Sie preßte ihn in ihre Arme mit der Liebe der Geliebten, der Schwester, der Mutter; mit der ganzen Menschenliebe.
»Was kann ich tun? was kann ich für dich tun? Sage es mir!«
Fortwährend quälte sie
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