Feuer (German Edition)
ritt, wurde sie verwundet – man hat nie erfahren, durch wen – gleichzeitig mit dem Hasen, der zwischen den Beinen ihres Pferdes durchlief. Man sah sie Zur Erde stürzen. Wir eilten alle hinzu und fanden sie dort auf dem Rasen, in ihrem Blut sich windend, neben ihr der Hase in Todeszuckungen. In dem Schweigen und dem Entsetzen, wie wir alle dort vereint standen und noch niemand gewagt hatte, zu sprechen oder sich zu bewegen, hob das arme Geschöpf die Hand kaum wahrnehmbar, deutete auf das verwundete schmerzleidende Tier, sagte (nie werde ich den Ton dieser Stimme vergessen): ›Tuez-le, tuez-le, mes amis... Ça fait si mal!‹ Und starb sogleich.« – – –
Welch ergreifende Anmut in diesem November, der lächelt gleich einem Kranken, der sich in der Genesung glaubt, dessen Inneres ein ungewohnt wohliges Gefühl durchströmt, und der nicht weiß, daß er seinem Ende naht.
»– Aber was haben Sie heute, Fosca? Was ist Ihnen geschehen? Warum sind Sie so verschlossen gegen mich? Sagen Sie es mir! Sprechen Sie zu mir!«
Stelio, der zufällig in San Marco eingetreten war, hatte sie gegen die Tür der Kapelle lehnen sehen, in der das Baptisterium sich befindet. Sie war allein dort, unbeweglich, das Gesicht von Fieber und nachttiefen Schatten verzehrt, die Augen voller Entsetzen auf die furchtbaren Mosaikgestalten geheftet, die in einem gelben Feuer flammten. Hinter der Tür hielt ein Chor seine Übungen. Der Gesang brach ab, hob wieder an in derselben Kadenz.
»Ich bitte Sie, ich bitte Sie, lassen Sie mich allein! Ich muß allein sein! Ich flehe Sie an!«
Der Ton ihrer Worte verriet die Trockenheit ihres zuckenden Mundes. Sie wollte sich umwenden, entfliehn. Er hielt sie zurück.
»So sprechen Sie doch! Sagen Sie mir wenigstens ein Wort, damit ich begreife!«
Wieder wollte sie sich ihm entziehen, und ihre Bewegung drückte eine unsägliche Qual aus. Sie sah aus wie ein von Martern zerrissenes, vom Henker gefoltertes Geschöpf. Sie schien erbarmungswürdiger als ein aufs Rad geflochtener, als ein mit glühenden Zangen gequälter Körper.
»Ich flehe Sie an! Wenn ich Ihnen Schmerz bereite, nur eines können Sie jetzt für mich tun: lassen Sie mich gehen ...«
Sie sprach mit gedämpfter Stimme; und daß sie nicht schrie, daß sich kein Schluchzen und Stöhnen ihrer Kehle entrang, erschien als etwas Übermenschliches, so offenbar war der Krampf ihrer ganzen erschütterten Seele.
»Aber nur ein Wort, wenigstens eines, damit ich begreife!«
Die Zornesröte stieg in ihr entstelltes Gesicht.
»Nein. Ich will alleine sein.«
Die Stimme war hart wie der Blick. Sie wandte sich um, machte einige Schritte wie jemand, den ein Schwindel befällt, und griff schnell nach einer Stütze.
»Foscarina!«
Aber er wagte nicht, sie zurückzuhalten. Er sah die verzweifelte Frau in dem Sonnenstreifen gehen, der durch die von unbekannter Hand geöffnete Tür mit dem Ungestüm eines reißenden Stromes in die Basilika eindrang. Das tiefe goldene Gewölbe mit seinen Aposteln, seinen Märtyrern, seinem heiligen Getier leuchtete hinter ihr, als ob die tausend Fackeln des Tages dort zusammenstürzten. Der Gesang brach ab und hob wieder an.
»Ich vergehe in Trauer... Der unwiderstehliche Drang, mich gegen mein Schicksal aufzulehnen, auf gut Glück davonzugehen, zu suchen... Wer wird meine Hoffnung retten? Von wem wird mir das Licht kommen? ... Singen, singen! Ach, ich möchte endlich ein Lied des Lebens singen... Könnten Sie mir sagen, wo in diesen Tagen der Herr des Feuers ist?« Vor ihren Augen, in ihrer Seele eingegraben standen diese Worte, die Donatella Arvales Brief enthalten, mit allen Eigentümlichkeiten der Schrift, mit allen Einzelheiten der Schriftzeichen, lebendig wie die Hand, die sie niedergeschrieben, zuckend wie dieser ungeduldige Pulsschlag. Sie sah sie in den Steinen eingemeißelt, in den Wolken geschrieben, von den Wassern widergespiegelt, unauslöschbar und unvermeidlich, wie der Spruch des Schicksals.
›Wo soll ich hingehen? Wo soll ich hingehen?‹ Und durch ihre Erregung und ihre Verzweiflung hindurch empfand sie die süße Anmut der Dinge, den warmen Ton des vergoldeten Marmors, den Duft der stillen Luft, die Mattigkeit der Muße. Sie sah eine Frau aus dem Volk auf den Stufen der Basilika sitzen, in ihr braunes Tuch gehüllt, nicht alt, nicht jung, nicht hübsch, nicht häßlich, die sich an der Sonne freute und mit den Zähnen in ein großes Stück Brot biß, langsam kauend und im Behagen dieses
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