Feuer (German Edition)
überaus empfänglich für die Schönheit der Hände. Wenn er einer Frau begegnet, achtet er immer auf die Hände. Betet er nicht Sofias Hände an?‹ Sie ließ sich von diesen kindischen Erwägungen gefangen nehmen und verweilte einige kurze Augenblicke dabei; dann mußte sie bitter darüber lächeln. Und plötzlich vervollständigte sich das Bild, es lebte, strahlte von Macht und Jugend, es überwältigte, es blendete sie. ›Sie ist schön. Und ihre Schönheit ist, wie er sie will.‹
Unbeweglich blieb sie dort in dem schweigenden Glanz der Wasser, mit dem Brief im Schoße, gebannt von der unbeugsamen Wahrheit. Und über dieser untätigen Verzagtheit blitzten unfreiwillige Zerstörungsgedanken auf: Donatellas Gesicht verbrannte bei einer Feuersbrunst, durch einen Fall war ihr Körper auf immer verkrüppelt, die Stimme verlor sie durch eine Krankheit. Sie empfand Abscheu vor sich selbst, und dann Mitleid mit sich und mit den andern. ›Hat sie nicht ein Recht zu leben? Sie soll leben, lieben, genießen!‹ Und sie dachte sich für sie ein köstliches Abenteuer aus, eine glückliche Liebe, einen anbetungswürdigen Gatten, Wohlergehehen, Luxus, Genuß. ›Gibt es vielleicht nur einen einzigen Mann auf Erden, den sie lieben könnte? Könnte sie nicht morgen ihm begegnen, der ihr Herz gefangen nimmt? Könnte nicht ihr Schicksal plötzlich eine andere Wendung nehmen, sie weit von uns entfernen, auf einen unbekannten Weg geleiten, sie für immer von uns trennen? Ist es denn eine zwingende Notwendigkeit, daß sie von dem Mann geliebt werde, den ich liebe? Vielleicht, daß sie einander niemals wieder begegnen ...‹
So versuchte sie ihrer eigenen Ahnung zu entfliehen. Aber eine widerstrebende Stimme in ihrem Innern sagte: ›Einmal sind sie sich begegnet, sie werden einander suchen, sie werden sich wieder finden. Sie ist keine von den dunklen Seelen, die sich in der Menge oder auf einem abgelegenen Pfad verlieren. Sie hat in sich eine Gabe, die wie ein Stern leuchtet und an der sie immer von weitem zu erkennen ist: ihren Gesang. Das Wunder ihrer Stimme wird ihr Signal sein. Und sie wird sicher diese Kunst in der Welt zur Geltung bringen; auch sie wird durch die Menschen hindurchschreiten, eine Woge der Bewunderung hinter sich lassend. Wie sie die Schönheit besitzt, wird sie den Ruhm erwerben: zwei lockende Sterne, denen er leicht folgen wird. Einmal sind sie sich begegnet, sie werden sich wieder begegnen.
Die Schmerzensreiche beugte sich unter ein Joch. Die Grashalme zu ihren Füßen empfingen die Sonnenstrahlen und schienen sie festzuhalten, in einem grünen Lichte atmend, das sie selbst mit ihrer stillen Transparenz färbten. Sie fühlte die Tränen in ihre Augen steigen. Durch diesen Schleier blickte sie auf die Lagune, die in diesem Erzittern zitterte. Ein lichter Perlenglanz verlieh den Wassern etwas Beseligendes. Die Inseln Follia, San Elemente und San Servilio waren in blassen Dunst gehüllt, und dann und wann drangen aus der Ferne gedämpfte Schreie herüber wie von Schiffbrüchigen, die in der Meeresstille sich verirrten, denen bald das Geheul einer Sirene, bald das heisere Lachen der vereinzelten Seemöwen antwortete.Das Schweigen wurde furchtbar, dann besänftigte es sich.
Sie fand ihre tiefe Güte wieder. Sie fand ihre Zärtlichkeit für das schöne Geschöpf, auf das sie eines Tages das Bedürfnis, Sofia, die gute Schwester, zu lieben, übertragen hatte. Sie dachte wieder an die in der einsamen Villa auf dem Hügel von Settignano verbrachten Stunden, wo Lorenzo Arvale seine Statuen in der Fülle seiner Kraft und seiner Leidenschaft schuf, von dem Blitzstrahl nichts ahnend, der schon auf ihn niederzuckte. Sie durchlebte wieder diese Zeit, sie sah den Ort wieder: – sie stand vor dem berühmten Künstler, der sie in Ton nachbildete, und Donatella sang ein altes Lied, und der Geist des Liedes belebte das Modell und das Bildnis, und ihre Gedanken und die glockenreine Stimme und das Mysterium der Kunst erzeugten fast einen Schimmer überirdischen Lebens in diesem großen Atelier, das nach allen Seiten dem Tag geöffnet war, so daß man in dem frühlingsduftigen Tal Florenz und seinen Fluß erspähen konnte.
Was anders, als der Abglanz von Sofia, hatte sie zu diesem Mädchen hingezogen, das die Liebkosung der Mutter nicht gekannt hatte, die dahingegangen war, als sie sie zur Welt brachte. Sie sah sie wieder an der Seite ihres Vaters, ernst und sicher, Trösterin der hehren Arbeit, Hüterin der heiligen Flamme
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