Feuer (German Edition)
und erwartest mich, du, die lebte und starb in Leidenschaft.‹ Sie richtete sich auf. Seltsames Schweigen füllte den verlassenen Hof. Die Pracht der hohen, skulpturengeschmückten Mauern lag halb im Schatten, halb im Licht, die fünf Kuppeln der Basilika überragten den leichten Bogengang, wie die weißen Wolken, die den Himmel noch blauer erscheinen ließen, gerade wie die Blüte des Jasmin das Blatt grüner erscheinen läßt. Und wieder wurde sie, durch ihre Qual hindurch, ergriffen von der Anmut der Dinge. ›Noch könnte das Leben Süßigkeiten bergen!‹
Sie ging hinaus zum Molo, bestieg eine Gondel und ließ sich zur Giudecca fahren. Das Wasserbecken, die Salute, die Riva degli Schiavoni, der ganze Stein, das ganze Wasser waren ein goldenes und opalschimmerndes Wunder. Sehnsüchtig blickte sie zur Piazetta hinüber, ob dort nicht eine Gestalt erschiene.
In ihrer Erinnerung blitzte das Bild auf von der toten Sommergöttin, die in Gold gekleidet und eingeschlossen war in den opalschimmernden Glasschrein. Sich selbst stellte sie sich so vor, versenkt in die Lagune, auf einem Bette von Seealgen ruhend. Aber die Erinnerung an das Versprechen, das auf diesem Wasser gegeben und in dem nächtlichen Delirium gehalten worden war, drang ihr wie ein scharfes Messer ins Herz, machte sie von neuem zum Spielball der zuckenden Leidenschaften. ›Nie wieder also? Niemals wieder?‹ Alle ihre Sinne erinnerten sich aller Liebkosungen. Der Mund, die Hände, die Kraft, die Glut des Jünglings gingen über in ihr Blut, als ob sie sich in ihr aufgelöst hätten. Das Gift brannte sie inwendig bis in ihre innersten Fibern. Sie hatte mit ihm an der äußersten Grenze der Wollust eine Verzückung empfunden, die noch nicht der Tod und doch jenseits des Lebens war. ›Nie wieder jetzt? Niemals wieder?‹
Sie war am Rio della Croce angelangt. Über eine rote Mauer ragte üppiges Laubwerk. Vor einer verschlossenen Türe hielt die Gondel. Sie stieg aus, suchte einen kleinen Schlüssel, öffnete und trat in den Garten.
Es war ihr Zufluchtsort, der geheime Schlupfwinkel ihrer Einsamkeit, behütet von der ihr treuen Schwermut, wie von schweigsamen Wächtern. Hier traf sie alle ihre Kümmernisse wieder, die alten und die neuen; sie umkreisten und begleiteten sie.
Mit seinen langen Weinlaubengängen, mit seinen Zypressen, mit seinen fruchtbeladenen Bäumen, mit seinen Lavendelhecken, seinen Oleandern, mit seinen Nelken, seinen Rosenbüschen, purpurn und safrangelb, von wundersam süßer und matter Färbung, im Welken begriffen, schien dieser Garten wie in der äußersten Lagune verloren, eine von Menschen vergessene Insel, in Mazzorbo, in Torcello, in San Francesco del Deserto. Die Sonne badete ihn und drang in jeden Winkel, so daß die Schatten in ihrer Zartheit kaum sichtbar wurden.
So ruhig war die Luft, daß das trockene Weinlaub sich nicht von den Reben löste. Kein Blatt fiel nieder, obwohl alle starben.
›Nie wieder?‹ Sie schritt unter den Laubgängen hin, näherte sich dem Wasser. Auf der mit Gras bewachsenen Anhöhe blieb sie stehen, sie fühlte sich erschöpft, setzte sich nieder auf einen Stein, preßte die Handflächen gegen ihre Schläfen und versuchte sich zu sammeln, ihre Selbstbeherrschung wiederzuerlangen, zu überlegen, zu beschließen. ›Noch ist er hier, ist nahe, ich kann ihn wiedersehen. Vielleicht begegne ich ihm binnen kurzem wieder auf der Schwelle meiner Tür. Er nimmt mich in seine Arme, er küßt mir die Augen und Lippen, er sagt mir wieder, daß er mich liebt, daß alles in mir ihm gefällt. Er weiß von nichts, er begreift es nicht. Es ist nichts Entscheidendes geschehen. Was ist es also, das mich verwirrt und niederschmettert? Ich habe einen Brief erhalten von einem Wesen aus der Ferne, das gefangen ist in einer einsamen Villa bei einem geisteskranken Vater, und das über seine Lage klagt und sich danach sehnt, sie zu verändern. Das ist das Tatsächliche. Weiter nichts. Hier ist der Brief.‹ Sie suchte ihn hervor, öffnete ihn, um ihn noch einmal zu lesen.
Ihre Finger zitterten; sie glaubte Donatellas Atem zu spüren, als säße sie hier an ihrer Seite auf diesem Stein.
›Ist sie schön? Wirklich schön? Wie sieht sie aus?‹ Die Züge ihres Bildes verwirrten sich anfangs. Sie versuchte sie festzuhalten, sie verschwanden.
Aber dann war es eine Einzelheit, die vor allen andern sich abhob, die klar und deutlich ihr vor Augen trat: die große und ungeschickte Hand. ›Sah er sie an jenem Abend? Er ist
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