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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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werfen, aus dem er gerade hervorgekrochen war. Will rang noch mit sich, ob er noch einmal nach dem Mädchen rufen oder – obwohl es völlig sinnlos wäre – erneut nach ihr suchen sollte, als er einen hellrosa Schimmer in der Dunkelheit wahrnahm und dann keuchende Atemzüge und das Platschen von Wasser hörte. Impulsiv wollte er den Arm ausstrecken, um dem Mädchen zu helfen, aber das hätte sie möglicherweise nur erschreckt und doch wieder zurückgetrieben. So richtete er sich nur behutsam auf und blieb stehen, bis die Kleine zitternd aus ihrem Versteck hervorgekrochen war und sich unsicher erhob. Sie schien mit ihren Kräften völlig am Ende zu sein und schwankte so heftig, dass sie sich mit der linken Hand an einem Rohr festhalten musste, um nicht gleich wieder zu stürzen, aber Will widerstand auch jetzt der Versuchung, die Arme auszustrecken, um ihr zu helfen. »Alles in Ordnung?«, fragte er.
    Natürlich bekam er keine Antwort. Der Blick der großen, auf beunruhigende Weise wissend wirkenden Augen des Mädchens irrte unstet zwischen seinem Gesicht und seinen Händen hin und her, so dass Will schließlich die Arme vollends sinken ließ und nach kurzem Zögern die Hände in den Hosentaschen vergrub. »Ich weiß nicht, was du vorhast«, sagte er mit einem Schaudern, das er nicht mehr spielen musste, »aber ich gehe jetzt nach oben und suche mir ein trockenes Plätzchen.«
    Obwohl es ihm schwer fiel, nicht ständig zu ihr zurückzublicken, durchquerte er mit raschen Schritten den Keller und den Gewölbegang und nahm dann die Hände aus den Hosentaschen, um den Riegel zu öffnen. Er hörte das Platschen ihrer Schritte hinter sich, aber die Akustik des voll gestopften Kellergewölbes war so verwirrend, dass er nicht sagen konnte, ob sie ihm wirklich folgte oder sich vielleicht nur ein besseres Versteck suchte. Es spielte auch keine Rolle. Mittlerweile war es hier drinnen fast vollkommen dunkel, und er hatte so oder so keine Chance mehr, sie zu kriegen, wenn sie sich nicht erwischen lassen wollte. Außerdem hatte er mit dem Riegel vielleicht ein bisschen zu gute Arbeit geleistet: Es kostete ihn all seine Kraft, ihn zurückzuziehen, und einen Moment lang war er nicht einmal sicher, ob es ihm überhaupt gelingen würde. Endlich aber fuhr das rostige Eisen mit einem scharrenden Laut zurück – und mit einem so plötzlichen Ruck, dass Will die Balance verlor und nach hinten gegen die Wand prallte. Irgendwie brachte er es fertig, nicht wirklich zu fallen, aber selbstverständlich nutzte das Mädchen die Chance, die sich ihr bot. Will sah nur einen verschwommenen Schemen aus den Augenwinkeln und hörte das Platschen hastiger Schritte im wadentiefen Wasser, und noch immer halb im Fallen begriffen, nutzte er den Schwung seiner eigenen Bewegung, um sich nach vorn zu werfen und die Arme auszustrecken, aber er griff ins Leere. Die Kleine raste an ihm vorbei die Treppe hinauf, und Will stürzte nun endgültig, rappelte sich mit einem Fluch wieder hoch und rannte hinter ihr her, so schnell er konnte. Schmerz, Kälte und Wut gaben ihm zusätzliche Kraft, und wäre die Treppe nur zwei oder drei Stufen höher gewesen, hätte er sie vielleicht sogar eingeholt. So aber sah er gerade noch, wie sie durch den schmalen Spalt, den der zusammengebrochene Türrahmen frei ließ, verschwand, bevor er mit fast ungebremster Geschwindigkeit gegen das brandgeschwärzte Holz prallte und um ein Haar rücklings die Treppe wieder hinuntergestürzt wäre. Im letzten Moment fand er Halt an der Ziegelsteinmauer, fluchte noch einmal und lauter und quetschte sich dann rücksichtslos durch den schmalen Spalt hindurch.
    Auch hier draußen war es mittlerweile fast vollkommen dunkel. Er konnte nur wenige Meter weit sehen, aber er hörte die Schritte des Mädchens irgendwo rechts von sich, vergaß auch den allerletzten Rest von Vorsicht und jagte hinter ihr her. Zwei oder drei Mal prallte er gegen ein Hindernis, das er in der Dunkelheit einfach zu spät sah. Aber er wurde nicht langsamer, und nach einem oder zwei Dutzend Schritten wurde sein Wagemut belohnt: Er konnte das Mädchen vor sich sehen, dichter, als er zu hoffen gewagt hatte, und er hörte ihre Schritte und ihre keuchenden Atemzüge.
    »Verdammt, Kleine, bleib doch stehen!«, schrie er. »Ich will dir doch nur helfen!«
    Das Mädchen drehte im Rennen den Kopf und sah über die Schulter zu ihm zurück, machte aber keine Anstalten, langsamer zu werden oder gar stehen zu bleiben, sondern versuchte

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