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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ganz im Gegenteil, seine Schritte noch mehr zu beschleunigen. Und vielleicht hätte es das besser nicht getan, denn nun erging es ihr genau wie Will einen Augenblick zuvor: Er hörte das Splittern von Holz und ihren Schrei und wusste, was geschehen war, noch bevor sie mit einem Bein fast bis zum Knie in den Boden einsank, der unter ihrem Gewicht nachgegeben hatte. Wills Herz machte einen erschrockenen Sprung, als er sah, wie sie mit wild rudernden Armen um ihr Gleichgewicht kämpfte, nach vorne und zugleich zur Seite gerissen wurde und dann mit furchtbarer Wucht zu Boden fiel. Mit zwei, drei gewaltigen Sätzen war er neben ihr, ließ sich neben dem Mädchen auf die Knie fallen und drehte sie hastig auf den Rücken. Die Kleine schrie vor Angst und vermutlich auch vor Schmerzen, schlug blindlings nach ihm und versuchte davonzukriechen, aber Will ignorierte die klatschenden Schläge einfach, die sein Gesicht trafen, packte sie mit beiden Händen an den Schultern und schüttelte sie zwei, drei Mal so kräftig, dass ihre Zähne mit einem hörbaren Geräusch aufeinander schlugen.
    »Hör auf!«, schrie er. »Ich tu dir nichts! Ich will dir doch nur helfen, verstehst du das nicht?«
    Vielleicht verstand sie ihn tatsächlich, vielleicht nahm ihr aber auch nur die Angst den Atem – so oder so hörte sie auf zu schreien und wild um sich zu schlagen und begann stattdessen leise zu wimmern, in einer Tonlage, die Will die Kehle zuschnürte und ihn all seinen Zorn auf der Stelle vergessen ließ. Plötzlich überschwemmte ihn eine Woge so intensiven Mitleids, dass er sich beherrschen musste, um das Mädchen nicht einfach in die Arme zu nehmen und schützend an sich zu drücken.
    Stattdessen wartete er, bis sie sich halbwegs beruhigt zu haben schien, dann ließ er vorsichtig ihre Schultern los, richtete sich ein wenig auf und sah auf ihr Bein hinab. Ihre Jeans waren zerrissen. Das Holz, durch das ihr Fuß gebrochen war, hatte ihr ein halbes Dutzend tiefer, heftig blutender Wunden an Schienbein und Wade zugefügt. Sie musste große Schmerzen haben, und wahrscheinlich war sie halb wahnsinnig vor Angst. Will fühlte sich hilflos, und bei dem Gedanken, wie wütend er noch vor einem Moment auf dieses Kind gewesen war, meldete sich sein schlechtes Gewissen.
    »Ich will dir wirklich nur helfen, Kleines«, sagte er. »Mach es mir doch nicht so schwer.« Er wartete, bis der Blick ihrer fast schwarzen Augen dem seinen begegnete, dann zwang er sich zu einem Lächeln. »Das muss verdammt wehtun, wie?«
    Immerhin: Er erntete ein angedeutetes Nicken als Antwort. »Ich hab einen Verbandskasten im Auto«, sagte er. »Soll ich ihn holen, oder willst du mit mir zum Wagen gehen?« Einen Moment lang wartete er vergeblich auf eine Antwort, dann fügte er mit einem neuerlichen, nicht mehr ganz so gezwungenen Lächeln hinzu: »Ich kann dich auch tragen, wenn du möchtest.«
    »Ich kann gehen«, antwortete das Mädchen. »Aber ich …« Sie fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen, stemmte sich umständlich auf beiden Ellbogen hoch und sah rasch nach rechts und links, ehe sie ihm wieder in die Augen blickte. »Sie … Sie tun mir auch wirklich nichts?«
    »Ganz bestimmt«, antwortete Will. »Wenn ich ehrlich sein soll: Ich habe genauso viel Angst wie du. Mindestens.«
    »Angst?« Das Mädchen runzelte die Stirn. Ein Ausdruck tiefer Verwirrung erschien auf ihrem Gesicht.
    »Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt«, fuhr Will fort. »Ich weiß ja nicht, wer du bist und vor wem du davonläufst, aber ich habe dich vor zehn Minuten das erste Mal gesehen – als du mir vor den Wagen gerannt bist.« Mit leicht veränderter Stimme und neuer Sorge im Blick fügte er hinzu: »Und dir ist auch wirklich nichts passiert?«
    »Nein«, antwortete das Mädchen. »Ich wollte nur … es … es tut mir Leid. Ich wollte nicht …«
    »Das ist schon in Ordnung«, unterbrach sie Will. »Jetzt lass mich erst mal nach deinem Bein sehen. Kannst du den Fuß bewegen?«
    Das Gesicht des Mädchens verzerrte sich vor Schmerz, aber sie biss tapfer die Zähne zusammen und bewegte auch das Bein, noch bevor er sie dazu auffordern konnte. Wie es aussah, schien es zumindest nicht gebrochen zu sein.
    »Das sieht wirklich nicht gut aus«, sagte Will. »Ich sollte dich zu einem Arzt bringen.«
    »Nein, kein Arzt!« Die Stimme des Mädchens klang fast entsetzt, und für einen Moment loderte wieder die alte Angst in ihren Augen auf, so dass sich Will innerlich zur

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