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Feuer: Roman (German Edition)

Feuer: Roman (German Edition)

Titel: Feuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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befreien von diesem Ungeheuer, das war es, er hatte keine Geduld mehr und kein Vertrauen in den Teil von ihm, der ihm riet, unter allen Umständen vorsichtig zu sein und nichts Unüberlegtes zu tun.
    Er hatte den ersten Schritt noch nicht ganz beendet, da passierte etwas, mit dem er überhaupt nicht gerechnet hatte. Er lief in etwas fast körperlich Spürbares hinein, eine Barriere, hinter der eisige Kälte lauerte, als hätte er die Tür zu einem Kühlhaus geöffnet, in dem gefrorene Rinder- oder Schweinehälften dicht gedrängt an Haken baumelten wie Relikte eines geheimnisvollen Opferrituals. Es hatte keine Ähnlichkeit mit der Empfindung, die ihn während seines nächtlichen Gewaltmarsches in der verregneten Nacht gequält hatte, es war einschneidender, durchdringender. Sein Atem stockte augenblicklich, als eiskalte Luft in seine Lungen drang. Obwohl er sofort mitten im Schritt verhielt und sich sogar noch in der gleichen Bewegung ein Stück zurückzog, wurde es nicht besser, ganz im Gegenteil. Es war nicht nur einfach eine Woge ungeheuerlicher Kälte, die über ihm zusammenbrach, sondern viel mehr; es war etwas Elementares, Ungeheuerliches, das dort lauerte wie eine Spinne im Netz auf ein leichtsinniges Insekt, und doch schon jetzt, so gar nicht spinnenähnlich, aus der Entfernung die Fühler nach ihm ausstreckte. Die Kälte glitt über ihn hinweg, streichelte ihn mit ihren eisigen Fingern wie eine heimtückische Geliebte, die nichts weiter als die Demütigung und Vernichtung ihres Liebhabers im Sinn hat. Das Frösteln glitt von seinen Schultern abwärts, fließend und fast behutsam, fand Zugang zu seiner Brust und seinem Rücken, glitt zwischen Kleidung und Haut, und während er noch zwei, drei unsichere Schritte zurücktaumelte, setzte die Kälte nach, wie um ihn vollständig aufzusaugen.
    Ohne dass er auch nur im Mindesten begriff, woher diese Kälte kam, und obwohl er nichts anders vor sich sah als zuvor – Georg, der auf ausgetretenem, rissigem Boden in einem dunklen, gewölbeähnlichen Eingang eines Kellerlabyrinths stand, in dem außer bizarren Schatten auf den vor Schmutz und Pilzbefall schillernden Wänden nichts zu erkennen war –, begann sich alles um ihn herum zu verändern, so als sei ein Teil der Wirklichkeit brüchig geworden, so als glitte etwas an ihm vorbei, das, obschon er es nicht sehen, dafür doch umso deutlicher spüren konnte.
    Georg stand vollkommen unerschütterlich da, nur ein paar Meter vor ihm und doch so weit entfernt, dass er das Gefühl hatte, ihn nicht erreichen zu können, selbst wenn er jetzt mit einem einzigen, gewaltigen Satz auf ihn zuspränge.
    »Es wird Zeit, dass du begreifst, dass du deine Tochter unwiederbringlich verloren hast«, sagte Georg. Irgendetwas schien mit seinen Augen zu passieren; dort, wo eben noch Leben gefunkelt hatte, schien alles zu ersterben, oder vielmehr, etwas ganz anderem Platz zu machen, einer unglaublichen, nicht menschlichen Kälte, einem Ausdruck so abgrundtiefen Fehlens jeden Gefühls, dass Will mitten in der Bewegung erstarrte. »Du wirst sie nie wiedersehen.«
    In Will war kein Platz für Entsetzen mehr. Das heiße Feuer, das in ihm brannte, das danach drängte, sich zu verselbstständigen, wich zurück, hastig, wie erschrocken – und machte nichts Platz, keinem Gefühl und keinem Gedanken, sondern nur einer fast vollständigen Leere.
    »Du willst ihr also etwas antun.«
    Georg bewegte den Kopf ganz leicht, kein Kopfschütteln, aber eindeutig eine Verneinung.
    »Du hast ihr schon etwas angetan.«
    »Nein.« Georgs Stimme klang kalt und spröde. Sie passte zu dem Blick seiner unmenschlichen Augen. »Ich habe ihr nichts getan, und ich werde ihr nichts tun. Jedenfalls nicht in dem Sinne, den du meinst.«
    »Was soll das heißen?«, fragte Will. Nur ganz am Rande bemerkte er, dass seine Stimme brüchig und spröde klang.
    »Ich habe ihr die Augen geöffnet«, sagte Georg. »Das ist es, was ich getan habe.«
    »Die Augen geöffnet?«, fragte Will fassungslos.
    »Duffy hat dich durchschaut«, sagte Georg.
    »Was?« Es war mehr ein Krächzen als ein menschlicher Laut, den Will von sich gab. Er hob den rechten Arm, langsam und auf eine Art, wie das uralte Männer tun, die sich mühsam jede Bewegung abverlangen müssen. Die Kälte kroch weiter in ihn hinein, fast spielerisch und mit einer Bedächtigkeit, als wollte sie ihren Sieg über ihn auskosten, und doch so schnell, dass er keine Zeit fand, etwas dagegen zu unternehmen – zumal sich der

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