Feuer: Roman (German Edition)
sein, dass man alles Offensichtliche ignoriert, obwohl die …
… die Wahrheit doch mehr als offensichtlich ist?« Der Wolfsgesichtige sah an mir vorbei, dorthin, wo das Rascheln und Zischeln noch immer an Lautstärke zunahm. »Hast du wirklich geglaubt, die Götter ungestraft bestehlen zu können?«
»Die Götter?« Ich schüttelte wütend den Kopf »Wen meint Ihr? Den hammerschwingenden Thor, der seine Blitze auf uns herabschleudert und seit Anbeginn der Zeiten Furcht und Schrecken unter den Menschen verbreitet? Wie hätte ich ihn bestehlen können, wo er doch selber so großzügig mit der elementaren Kraft des Feuers und des Donners umgeht?«
»Du sprichst von Thor wie von deinesgleichen, du Narr«, sagte der Wolfsgesichtige verächtlich. »Wie erbärmlich. Und wie dumm. Wie wenig Verstand du doch hast, das Offensichtliche nicht zu begreifen.«
»Du hast mich von Anfang an für einen einfältigen Tölpel gehalten, den man mit ein paar wahllos fallen gelassenen Andeutungen aus dem Konzept bringen kann, nicht wahr?«, fragte Will. »Für eine deiner Schachfiguren, die du nach Belieben hin und her schieben kannst, wie die Idioten, die auf deiner Lohnliste stehen.«
»Bist du denn etwas anderes?«, fragte Georg in einem gespielt verwunderten Tonfall. Er stieß sich von der Wand ab und begann in seinen Taschen zu kramen, als suche er nach einer Zigarette. »Ich habe da noch etwas anderes. Aber ich sehe dir an, dass du erst über Martina reden willst.«
»Martina interessiert mich einen Scheißdreck.« Will wollte es Georg nachtun und sich abstoßen, doch als Georg die Stirn runzelte und die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenkniff, erstarrte er mitten in der Bewegung. »Ich will nur noch raus aus dieser Sache, verstehst du?«
»Hübscher Versuch«, sagte Georg. »Zufällig weiß ich, dass du gerade stolzer Vater einer zwölfjährigen Tochter geworden bist –und auch, wer die Mutter ist.«
Will schwieg eine ganze Weile. Georg stand da wie ein eiskalter Killer in einem düsteren Film, der seinen Verfolgern immer einen Schritt voraus ist und sie mühelos nach seiner Pfeife tanzen lässt. Duffy war tatsächlich hier irgendwo, dessen war sich Will so sicher, als habe er auf den dreckigen Pflastersteinen, auf denen sie standen, ihre Fußabdrücke gesehen, aber genauso sicher war auch, dass er sie nicht ohne Georgs Hilfe finden würde – jedenfalls nicht, ohne sie unnötig in Gefahr zu bringen.
So weit zu dem flüchtig aufflackernden Gedanken, die Distanz zu Georg mit zwei, drei schnellen Sätzen überwinden zu können und ihn in einem Überraschungsangriff mit dem Elektroschocker zu überrumpeln, um ihn dann zu zwingen, ihn zu Duffy zu bringen. Es würde nicht funktionieren. Es konnte nicht funktionieren, denn mit Sicherheit rechnete Georg mit solch einer Kurzschlussreaktion und würde eine Waffe ziehen, bevor er auch nur den ersten Schritt gemacht hatte.
»Ich weiß nicht, wer dir diese Geschichte aufgetischt hat«, sagte Will schließlich. Er konnte nicht verhindern, dass seine Finger zu zittern begannen. Es war kalt hier unten, in diesem Kellergewölbe, viel kälter, als es sein sollte an einem Sommermorgen; aber vielleicht lag es auch an ihm selbst, dass jetzt ein eiskaltes Frösteln in ihm hochstieg, vielleicht war es eine Reaktion auf den nächtlichen Gewaltmarsch durch strömenden Regen – oder auf etwas ganz anderes, auf etwas, was sich hier unten in dem Labyrinth dieser Gänge zu schaffen machte. »Aber …«
»Ja?« Georg hatte dieses eine Wort nicht einmal besonders laut ausgesprochen, aber bei seinem Klang lief Will ein kalter Schauer über den Rücken. Er konnte die Veränderung, die mit Georg vonstatten gegangen war, beinahe körperlich spüren. Er strahlte etwas ganz Merkwürdiges aus, etwas, das ihn mit den Wänden des Gewölbes zu verbinden schien, an dessen Ausgang er stand. Will war bislang viel zu aufgeregt gewesen, um darauf zu achten, aber jetzt fiel ihm auf, welche Kälte aus dem Inneren des Gewölbes hervorkam. Ein kalter Hauch strich daraus hervor, so als atmeten die unregelmäßigen, grau-schwarzen Steine und die modrigen, schimmelbesetzten Fugen, in die sie eingefasst waren, eisige Kälte aus.
»Martina und ich haben uns tatsächlich früher gekannt«, sagte Will. Er wusste, dass er Georg nicht belügen konnte, jedenfalls nicht mehr und schon gar nicht in dieser Angelegenheit. Alles, was er noch tun konnte, war, ihre Beziehung herunterzuspielen, um ihm nicht noch mehr Munition zu
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